EVP muss Farbe bekennen
Was sich am 10. Dezember beim Bonner Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) abspielte, schlug in Italien wie eine Bombe ein. Berlusconi hatte seinen Auftritt, und er nutzte ihn, um erstmals auch von der europäischen Bühne aus gegen die Verfassungsorgane seines Landes, die Justiz, das Verfassungsgericht und den Staatspräsidenten, vom Leder zu ziehen. Mit der Begründung, die er dabei vortrug, hoffte er wohl, in der EVP auf offene Ohren zu stoßen: Diese Institutionen seien in Italien überwiegend von „Linken“ besetzt, die nun gemeinsam versuchten, ihn, den vom Volk Gewählten, aus dem Amt zu hebeln. Natürlich kein Wort darüber, worum es in Italien eigentlich geht, nämlich um massive Korruptionsvorwürfe gegen ihn, um seinen Anspruch, als „vom Volk gewählter“ Regierungschef „über“ dem Gesetz zu stehen, und um seinen Versuch, die gegen ihn anhängigen Prozesse mit allen Mitteln zu verhindern, auch auf Kosten von Recht und Demokratie.
Ich weiß nicht, aufgrund welcher Überlegungen die Europäische Volkspartei (EVP), der Zusammenschluss christdemokratischer Parteien in Europa, Berlusconis „Popolo della Libertà“ irgendwann in ihre Reihen aufnahm. Beruft sich die EVP nicht auf die Grundwerte des Christentums, der Demokratie und der europäischen Verfassungstradition? Dass Berlusconi in erster Linie deshalb in die Politik ging – und sich nun auch mit dem Verfassungsgericht anlegt -, um sich den gegen ihn laufenden Korruptionsverfahren zu entziehen, ist kaum zu übersehen.
Ist das der EVP unbekannt? Oder ist es das Machtkalkül: Mit den Berlusconi-Leuten sind wir die stärkste Fraktion des Europa-Parlaments, und solange wir den Mantel des Schweigens über den Widerspruch decken, in den die EVP damit auf politisch-programmatischer Ebene gerät, wird schon alles irgendwie gut gehen?
Wenn dies die Rechnung war, so hat Berlusconi selbst einen Strich durch sie gezogen. Was seiner Bonner Attacke besonderes Gewicht gibt, ist das Forum EVP – seht Ihr, meine italienischen Landsleute, so wird er nun sagen, hinter mir steht nicht nur meine Koalition, sondern stehen die stärksten Parteien Europas. Italiens Staatspräsident Napolitano, sonst um äußerste Abgewogenheit bemüht, hat erstmalig mit ungewohnter Deutlichkeit erklärt, die Rede sei ein „heftiger Angriff gegen alle Verfassungsinstitutionen“ gewesen.
Die Reaktion der in Bonn versammelten EVP-Prominenz, mit Angela Merkel an der Spitze, war jämmerlich. Wilfried Martens, der neue, aus Belgien kommende Präsident der EVP, beschränkte sich auf den Kommentar, Berlusconi führe eine Mitte-rechts-Koalition mit der stärksten Mehrheit in Europa, ansonsten „no comment“. Für Antonio Lopez, den Generalsekretär der EVP, handelt es sich um eine „inneritalienische Angelegenheit“. Peter Hintze von der CDU blieb es vorbehalten, den von Berlusconi ausgelegten Köder zur Gänze zu schlucken: Berlusconi sei ein wahrer „Kämpfer gegen die europäische Linke“ und seine Rede einfach „großartig“. Unterstellen wir zu Hintzes Gunsten Ahnungslosigkeit, auch wenn dies bei einem EVP-Vizepräsidenten (das ist er!) eher peinlich ist.
So kann sich die EVP nicht mehr rausreden, nicht mehr seit Berlusconis Bonner Auftritt. Denn immerhin hat er dort versucht, die EVP gegen alle diejenigen zu instrumentalisieren, die sich in Italien seinem autoritären Kurs entgegenstellen. Die EVP muss sich entscheiden: sich entweder öffentlich von Berlusconi zu distanzieren, oder sich öffentlich vor seinen Karren spannen zu lassen. Berlusconi selbst lässt ihr keine andere Wahl.