Der Krieg von Rosarno
Jetzt ist Rosarno ausländerfrei. Innerhalb von zwei Tagen haben alle Afrikaner mit Bussen, in Zügen, zu Fuß die kalabresische Kleinstadt verlassen. Einige „freiwillig“, die meisten zwangsevakuiert. Unter Polizeieskorte.
Der Krieg von Rosarno hat eine lange Vorgeschichte. Es ist eine Geschichte von mafioser Kriminalität, Sklavenarbeit, unvorstellbarem Elend, aufgestauter Wut und Verzweiflung. Seit Jahrzehnten ernten junge Afrikaner in Süditalien Apfelsinen, Tomaten und Oliven. Sie ziehen als Saisonarbeiter von Apulien nach Kalabrien, von Kalabrien nach Kampanien oder Sizilien, sie leben in Baracken und verlassenen Industriehallen, ohne Wasser, ohne Toilette, ohne Licht. Sie schlafen auf Pappkartons und schuften am Tag 12-15 Stunden für 20-25 Euro, davon gehen 5-10 an die „caporali“ („Unteroffiziere“) der ‚Ndrangheta (kalabresische Mafia), die den Einsatz der Sklavenarbeiter militärisch organisiert und kontrolliert.
In Rosarno arbeiteten und lebten unter solchen Bedingungen 3-5000 afrikanische Immigranten – einige mit saisonaler Aufenthaltserlaubnis, einige illegal. 15.000 Einwohner zählt die Kleinstadt. Eine beliebte Freizeitbetätigung der dortigen Jugend bestand darin, Afrikaner zu jagen, mit Steinen zu bewerfen, mit rassistischen Beschimpfungen zu traktieren, ab und zu wurde schon mal mit einem Luftgewehr herumgeballert. Montags in den Schülerbussen prahlten die Jungs über ihre jeweiligen Erfolge bei der „Negerjagd“ am Wochenende. Schon im Dezember 2008 demonstrierten – damals noch friedlich – die afrikanischen Arbeiter gegen solche rassistischen Angriffe mit Transparenten, auf denen stand „Wir sind keine Tiere – wir sind Menschen wie ihr“.
Auch gegen die Mafia gingen schon die afrikanischen Saisonarbeiter auf die Straße, in Rosarno wie in anderen süditalienischen Städten. Mit dem Mut der Verzweiflung, trotz der damit gerade für sie verbundenen Risiken, durchbrachen sie die Mauer des Schweigens über die kriminellen Geschäfte.
Nach den Schüssen auf zwei Afrikaner vor einigen Tagen kam es zur Explosion. Einwanderer zertrümmerten Autos und Schaufenster, griffen Menschen wahllos mit Stöcken an, verletzten Polizisten. Die Gegengewalt der Bevölkerung am nächsten Tag kannte erst recht keine Grenzen. Afrikaner wurden auf offener Straße gejagt und geschlagen, einige erlitten schwere Schussverletzungen. Polizisten konnten gerade noch verhindern, dass ein Junge gelyncht wurde. Die „negri“ sollten verschwinden, sonst „bringen wir sie alle um“. Sie sagen auch: „Wie können diese Schweine so undankbar sein: wir haben ihnen Arbeit gegeben, wir sind doch ‚gente per bene‘!“ (anständige Menschen). Unter ihnen: stadtbekannte Mitglieder der Mafia-Familien.
Und wie reagiert die Regierung? Innenminister Maroni (Lega Nord) zündelt weiter: Schuld an den Zuständen sei die „grenzenlose Toleranz gegenüber der illegalen Einwanderung“, er will „hart durchgreifen“. Das – und nur das – ist das Regierungskonzept in Sachen Migration, ganz egal, ob legal oder illegal. Egal auch, dass das Rezept nachweislich wirkungslos ist. Und dass es nur zur Eskalation beiträgt. Im März stehen Regionalwahlen an, und es kann nicht schaden, wenn die Volksseele gegen „die Fremden“ kocht.
Über die „grenzenlose Toleranz“ gegenüber der Sklavenarbeit und den menschenunwürdigen Lebensbedingungen der Einwanderer verliert Maroni kein Wort. Und auch nicht über die Notwendigkeit, endlich Hilfen zur Integration in allen Bereichen bereit zu stellen. Die Einzigen, die sich in Italien dieser Frage annehmen, sind die ehrenamtlichen und kirchlichen Organisationen. Wenn jemand über die Gründe der Gewalt redet, sind es kritische Journalisten wie Saviano und mutige Männer wie der Pfarrer von Rosarno, der den in seiner Kirche versammelten „braven Bürgern“ unmissverständlich die Leviten las. Auch das ist Italien.