Privatisierung der Politik
Jene in Deutschland wie in Italien weit verbreitete konservative Obsession, alle Übel der Gegenwart irgendwie den schlimmen anti-autoritären, unpatriotischen, gewaltverherrlichenden, kinderverderbenden „68ern“ anzulasten, scheint langsam zu verblassen. In den Billigantiquariaten häufen sich jedenfalls die Erinnerungen, Biographien, die Streitschriften und Polemiken, in denen mit den kulturzerstörerischen 60er“ Jahren und dem „Untergang des Abendlands“ abgerechnet wird. Manchmal aber wird man dann doch wieder plötzlich und aus einer vollkommen unerwarteten Ecke mit einem Slogan jener Jahre konfrontiert. „Das Private ist politisch“ war so ein damals besonders in feministischen oder ‚Sponti- Kreisen weit verbreitetes ‚Kampfmotto’ mit einer eindeutig ‚linken emanzipatorischen’ Zielrichtung.
Heute jedoch hat dieser Slogan eine ganz andere Färbung erhalten. Aktuelles Beispiel: das private öffentliche Leben von Silvio Berlusconi. Mit einer atemberaubenden Konsequenz hat der mailänder Medienunternehmer in den letzten Jahrzehnten versucht, das politische System Italiens in sein eigenes Firmenimperium einzugliedern. Diese von großen Teilen der italienischen Wahlbevölkerung jedoch keineswegs als ‚feindlich’ angesehene Übernahmestrategie ist ihm, von Ausnahmen abgesehen, in seinem Sinne auch durchaus gelungen. “Italia S.p.A.“ hat der angesehene Kunsthistoriker Salvatore Settis dann auch eines seiner letzten Bücher betitelt, mit dem er den Ausverkauf italienischer Kulturschätze in der Regierungszeit von Berlusconi beklagt. In dem von ihm propagierten Welt- und Menschenbild ist alles käuflich und verkäuflich, in der Politik genauso wie im Privatleben.
Das klassische Gerüst einer funktionierenden Demokratie (Gewaltenteilung, Medien als Kontrollorgane der Regierenden, Akzeptanz des politischen Machtwechsels, Trennung von öffentlicher und privater Sphäre usw.) hat Berlusconi im Stil eines sich barock kostümierenden Kim Il Sung des Westens immer mehr aus seinen politischen Befestigungen gelöst. Unterstützt und beraten von einem ihm servil ergebenen Hofstaat (in den Parlamenten und den Medien), hat er konsequent auch das Private politisch für sich und seine Macht zu nutzen versucht. Auf den Titelseiten – nicht nur seiner Hauspostillen – wurden seine diversen kosmetischen Operationen genauso thematisiert wie seine präsenilen Annäherungen an vollbusige Soubretten oder seine spätpubertären Witze auf Treffen mit Repräsentanten anderer Länder. Für ihn ist immer alles Private auch politisch, solange es ihm, seinem Reichtum, seiner Medienmacht, seinem Potenzgehabe dient. Berlusconi, der seit Jahr und Tag gegen die moralische Verkommenheit der politischen Linken ( „tutti comunisti“ ) bis hin zu den sozialen Katholiken der heutigen Oppositionspartei polemisiert, ist gleichzeitig der „größte Privatisierer der Politik unter allen derzeit politisch Mächtigen“ (Barbara Spinelli). „In dem Moment“, so die ebenfalls 1968 politisierte Barbara Spinelli in einem glänzenden Kommentar für die Turiner Tageszeitung La Stampa weiter, „in dem alles Private politisch wird, zerstören wir die Politik“. Diese Anklage war gegen Berlusconi gerichtet, aber mehr noch gegen einen Journalismus, der diese Zerstörung demokratischer Politik mit seinen Skandalberichten vorantreibt. Auch eine ansonsten gegenüber den Inhalten und dem Stil des „Berlusconismo“ stark kritisch eingestellte Tageszeitung La Repubblica verfängt sich mit ihrer Berichterstattung über das Privatleben des Ministerpräsidenten immer wieder in dessen strategischen Fallen. „Diese Personalisierung“, so der englische Politikwissenschaftler Colin Crouch,“ stellt….einen wichtigen Aspekt des Niedergangs der ernsthaften Diskussionskultur dar“. Und genau das ist ja auch das Ziel des politischen Projekts von Silvio Berlusconi.