Kurzer Prozess
„Man darf die Prozesse nicht beschleunigen, wenn es zu Lasten derer geht, die Gerechtigkeit erwarten. Die Botschaft (des Dekrets) ist klar. Wenn in Italien jemand auf eine Antwort des Staates hofft, weiß er, dass er sie oft nicht bekommen wird. Und wer sich außerhalb der Legalität bewegt…, wird es im Bewusstsein tun, damit vielleicht durchzukommen.“
(Roberto Saviano, La Repubblica vom 21. 01. 2010)
„Kurzer Prozess„, das bedeutet in Deutschland, verurteilt zu werden, ohne lange das Pro und Contra abzuwägen. In Italien bedeutet es seit dem 20. Januar das Gegenteil: freigesprochen zu werden, ohne dass noch irgendetwas abgewogen wird. Am 20. Januar stimmte der Senat mehrheitlich dem Gesetzesdekret „Processo breve“ zu, das so genannt wird, weil es angeblich das Ziel verfolgt, die meist überlange Dauer der Prozesse zu verkürzen. Auf den ersten Blick gibt es sich bürgerfreundlich: Prozesse, in denen es um Delikte geht, auf denen höchstens 10 Jahre Gefängnis stehen, dürfen in der ersten Instanz maximal drei Jahre dauern, in der zweiten Instanz zwei Jahre, und in der dritten und letzten Instanz anderthalb Jahre. Bei Delikten mit potenziell höherem Strafmaß gibt es etwas längere Fristen. Sind die Fristen überschritten, werden die Verfahren eingestellt,.
Soll man der Justiz, wenn sie bummelt, nicht ruhig Feuer unter dem Hintern machen? Die Richter sagen: Solche Fristen nützen nichts, sie schaden nur. Zur Beschleunigung fehlen uns die nötigen Ressourcen. Der Regierungskoalition ist das egal, denn ihr geht um etwas ganz anderes: um die rückwirkende Geltung des Dekrets. Alle Prozesse, bei denen das zu erwartende Strafmaß unter 10 Jahren liegt, die schon mindestens zwei Jahren laufen und die sich auf Vergehen vor dem 2. Mai 2006 beziehen, werden eingestellt. „Zufälligerweise“ fallen darunter genau die Verfahren, die wie ein Damoklesschwert über Berlusconi hängen: die Prozesse Mills und Mediaset, in denen Gefängnisstrafen wegen Bestechung und Steuerbetrug drohen. Sie wären endgültig vom Tisch.
Jeder weiß, dass es bei dem ganzen Dekret nur darum geht. Zuerst versuchte es Berlusconi mit einem Gesetz, das alle Verfahren gegen ihn aussetzte, so lange er im Amt war. Da es allzu offensichtlich „ad personam“ gestrickt war, wurde es vom Verfassungsgericht annulliert. Das ist nun der zweite Anlauf, verpackt in eine Reform der Prozessdauer insgesamt
Die Folgen der Übergangsregelung sprechen jeder „Bürgerfreundlichkeit“ Hohn. Man schätzt, dass nun, je nach den örtlichen Gegebenheiten, zwischen 20 und 50 % der anhängigen Verfahren eingestellt werden müssen. Der Dachverband der Richter resümiert, das Dekret mache gerade „für die Opfer schwerer Verbrechen die Hoffnung auf Gerechtigkeit zunichte und die Gerichtsverfahren zu einer tragischen Farce „.
Das Dekret hat nun die Hürde des Senats genommen. Mitte Februar kommt die zweite Hürde, das Parlament. Wenn alles glatt geht, wäre es dann „durch“, und Berlusconi müsste sich keine Sorgen mehr machen. Kann ihm noch jemand in den Arm fallen? Er verkündete bereits, der Staatspräsident, von Amts wegen der höchste Verfassungshüter, werde es „mit Sicherheit“ unterschreiben. Das ist wohl eher als Drohung zu verstehen. Eine andere Unsicherheit betrifft die eigenen Reihen: Gianfranco Fini, Mitbegründer des „Popolo della Libertà“ und heutiger Parlamentspräsident, gilt als „pingeliger“ Legalist, er könnte sich noch querlegen. Groß ist diese Hoffnung nicht.
Das Trostlose ist die Unverhohlenheit, mit der diese Lähmung der Justiz inszeniert wird. Es ist kein Robin Hood, der das Schauspiel aufführt, sondern ein Milliardär, der für seine krummen Geschäfte ein ganzes Land in Geiselhaft nimmt. Und die meisten klatschen Beifall.