Wahlbetrug
Nicola Di Girolamo, Senator der Berlusconi-Partei „Popolo della Libertà“ (PdL), ist zurückgetreten. Es wird erwartet, dass der Senat am 3. März seinem Rücktritt zustimmt. Wer ist dieser Herr?
Seit 2006 können die im Ausland lebenden Italiener bei Parlamentswahlen ihre Stimme per Briefwahl über die Konsulate abgeben. Bei den letzten Parlamentswahlen kam Di Girolamo als Kandidat der PdL im Bezirk Europa in den Senat. Nun wurde gegen ihn Haftbefehl erlassen. Er steht im dringenden Verdacht, im Auftrag der kalabresischen Mafia ‚Ndrangheta weltweit als Geldwäscher tätig gewesen zu sein. Außerdem scheint zumindest ein Teil der ihm zugerechneten Stimmen durch Wahlfälschung zustande gekommen zu sein. ‚Ndrangheta-Männer sammelten im Raum Stuttgart leere Stimmzettel von dort lebenden Italienern und füllten sie mit Di Girolamos Namen aus.
Zuerst hat Di Girolamo vehement jeglichen Kontakt zur organisierten Kriminalität negiert. Nachdem Hunderte von Abhörprotokollen gesichert wurden und Fotos in der Presse erschienen sind, in denen er Arm in Arm mit bekannten Mafia-Bossen Prosecco trinkt, jammert er: „Ich war nur ein kleines Licht, ich war naiv, ich habe nur ein paar Fehler gemacht, hatte nur ein paar unvorsichtige Kontakte, weil ich so politikbegeistert bin!“. Dass er eine Jammergestalt ist, entspricht der Wahrheit: In abgehörten Telefongesprächen mit seinem „Auftraggeber“ Gennaro Mokbel (angeklagt wegen Geldwäsche, Zugehörigkeit zu einer international agierenden kriminellen Organisation, Korruption und diversen weiteren Straftaten) lässt er wüste Beschimpfungen und Beleidigungen über sich ergehen (Mokbel zum Herrn Senator: „Du bist doch nur ein Knecht, für mich zählst Du weniger als mein Portier!“). Dass er „nur ein paar Fehler“ gemacht habe, ist allerdings dreist. Unter anderem ist er angeklagt, 2 Milliarden Euro der kalabresischen Mafia in Frankreich, Schweiz, Luxemburg, Singapur, Hong Kong und in den Arabischen Emiraten gewaschen zu haben. Da kann ich nur sagen: Donnerwetter! Was wäre erst gewesen, wenn er „große Fehler“ gemacht hätte?
Ein weiterer „kleiner Fehler“ ist laut Anklage der im Raum Stuttgart mit Mafia-Hilfe betriebene Wahlbetrug. In einem Brief an Senatspräsident Schifani schreibt er, ihn hätten doch 24.500 Italiener gewählt , und „nur ein kleiner Teil von ihnen“ scheine „durch vermutlich kriminell infizierte Elemente missbraucht worden zu sein“. Dummerweise bezeugen die Abhörprotokolle, dass er sich mit den „kriminell infizierten Elementen“ begeistert über den gelungenen Wahlbetrug (wie es scheint, geht es um Tausende von Stimmen) ausgetauscht hat.
Der ganze unglaubliche Vorgang wird nun – durch die Regierungsparteien, aber leider auch durch Teile der Opposition und Presse – genutzt, um das Wahlrecht der Auslandsitaliener in Bausch und Bogen zu verdammen und seine Abschaffung zu fordern. Es sei – so der Tenor – ja klar, dass bei einer Briefwahl gemogelt und betrogen wird. Also weg damit! Das, meine ich, ist gerade die falsche Schlussfolgerung. Nicht das Recht auf Briefwahl, das es auch in anderen Ländern einschließlich Deutschland schon lange gibt, ist das Problem, sondern die Verstrickung von Mafia und Politik gerade in der Berlusconi-Partei sowie mangelndes politisches und rechtliches Bewusstsein bei einigen Wählern. Dieses bekämpft man nicht dadurch, dass man den Bürgern das Wahlrecht entzieht, sondern dass man sie aufklärt und für die Verteidigung der Demokratie gewinnt. Und dass man diejenigen unnachgiebig verfolgt und bestraft, die den Rechtsstaat und seine Gesetze mit Füßen treten. Würde jetzt den im Ausland lebenden italienischen Bürgern wieder die Möglichkeit entzogen, per Briefwahl ihr Wahlrecht auszuüben, hätten das Unrecht und die Mafia ein zweites Mal gewonnen.