Kamingespräch

B. macht nicht den Eindruck eines Diktators in spe. Als er vor den Regionalwahlen das auf der Piazza S. Giovanni versammelte Volk fragte, ob es eine (linke) Regierung will, die wieder die Steuern erhöht, Menschen ausspioniert oder Extracomunitari ins Land lässt, dachte zwar der Deutsche im Publikum an die Frage-und-Antwort-Spiele von Göbbels im Berliner Sportpalast. Aber für einen solchen Vergleich fehlt B. die Dämonie. Er hatte dabei die Ausstrahlung eines routinierten Animateurs, der Neckermann-Reisende ermuntert, gemeinsam die Arme hochzuwerfen und den Urschrei auszustoßen.

Ist er also ungefährlich? Ein Mensch wie Du und ich, wie Galli della Loggia meint, durch seine Milliarden zwar Lichtjahre von uns entfernt, aber gleichzeitig ein Kumpel, der uns augenzwinkernd zu verstehen gibt: Ich schlage mich durch wie ihr, und zeige euch, wie man erreicht, was wir doch alle wollen: nämlich unsere Schäfchen ins Trockene bringen?

Wir sitzen im Kaminzimmer unserer Dorfwohnung im südlichen Latium und fragen L., die Ex-Senatorin, ob sie tatsächlich meint, dass B. auf ein autoritäres Regime zusteuert. Ist es vielleicht nur ein Phantasiegebilde schwarz malender Linker, die es nicht verwinden können, dass ihnen B. die Butter vom Brot nahm?

L.s Antwort ist abgewogen. Zunächst einmal: Die Gleichsetzung des Berlusconi-Regimes mit dem Faschismus, zu der manche Compagni neigen, führt in die Irre. Was ihn antreibt, ist die Ablehnung von Regeln, die seine Handlungsfreiheit einengen. Leider sind es die Regeln der Demokratie. Mit ihnen gerät er auf mehrfache Weise in Konflikt:

Erstens als Ministerpräsident, der Italien wie sein Unternehmen „durchregieren“ will. Da stört die Langsamkeit der parlamentarischen Gesetzesmaschinerie, der Wirrwarr der Kompetenzen, die Gewichte, Gegengewichte und Kontrollinstanzen. Er bevorzugt das Regieren per Dekret und die Verstetigung eines Ausnahmezustands, als befände sich Italien im permanenten Notstand wie damals nach dem Erdbeben in Aquila. (Aber Aquila zeigt auch, dass sein Aktionismus letztlich nichts bewirkt. Am Ende rettet sich B. immer nur selbst).

Zweitens als Medienmogul, der in die Politik ging. Für ihn gibt es hier keinen Interessenkonflikt. Eine Grundregel der Demokratie – die Medien sollten unabhängige Kontrollorgane der Politik sein, nicht ihr Instrument – gilt nicht mehr. Im Gegenteil: Seitdem er an der Macht ist, säubert er auch das öffentliche Fernsehen von den Resten journalistischer Meinungsfreiheit.

Drittens als Mann mit Vergangenheit. Ihm drohen immer noch Verfahren, die er sich um jeden Preis vom Hals schaffen muss. So kämpft er gegen die Unabhängigkeit der Justiz, einschließlich der sie garantierenden Institutionen, vom Verfassungsgericht bis zum Staatspräsidenten. Indem er die Richter und Staatsanwälte als „Rote“, „Kommunisten“ und neuerdings auch „Talibans“ beschimpft, bricht er das fundamentale Tabu der Demokratie, die Unantastbarkeit der unabhängigen Rechtsprechung.

Fazit: Es ist nicht der Wille zur gewaltsamen Repression, der B. antreibt. Er will „nur“ keine Fesseln. Das sich abzeichnende Ergebnis ist ein autoritäres Regime. Zwar zeigt sich dessen repressive Seite unverhüllt (bisher) nur an den Rändern, gegenüber Flüchtlingen, „Extracomunitari“ und afrikanischen Sklavenarbeitern. Im Zentrum erscheint das Regime eher als eine „weiche“ Spielart des Autoritarismus. Hier ist es zugeschnitten auf den einen Leader, der sich seine Legitimation aus von ihm inszenierten Plebisziten holt. Die Mehrheit des Volkes wählt ihn, die Medien helfen. Der Justiz wird er bald die Unabhängigkeit nehmen. Die Korruption emanzipiert sich zum legitimen Bindemittel der Gesellschaft.

In Europa helfen starke Partner (wie die deutsche CDU), die gute Miene zum bösen Spiel machen. Und Ungarn zeigt, dass der Berlusconismus bereits Schule macht.