Erdbeben in Berlusconia
In der Nacht vom 5. zum 6. April 2009 zerstörte ein Erdbeben der Stärke 5,8 auf der Richterskala die mittelitalienische Stadt Aquila. 308 Menschen starben, über 1000 wurden verletzt, über 70 000 verloren ihre Wohnungen.
Das Erdbeben selbst ist sicherlich nicht der Regierung Berlusconi anzulasten, eher schon den Kräften der Natur und der Sorglosigkeit aller Regierungen – von rechts, über die Mitte bis links -, die es seit Jahrzehnten nicht für nötig hielten, Vorschriften für den Neubau von Häusern zum Zweck ihrer Erdbebensicherheit zu erlassen. Aber das, was nach diesem Erdbeben geschah (bzw. nicht geschah), ist typisch für das Politikverständnis von Berlusconi und seiner Unternehmenspartei. Denn unmittelbar nach dem Beben schaute ganz Italien auf die zerstörte Stadt in den italienischen Abruzzen. Wie fast immer in solchen Fällen machte sich die Solidarität der Menschen sofort bemerkbar: Ganze Kolonnen von Freiwilligen kamen in die vom Erdbeben heimgesuchten Gegenden, viele Organisationen sammelten Geld für die Opfer, die Zeitungen wetteiferten in Berichten über die Zerstörungen und die trostlose Situation der Betroffenen. Mit anderen Worten: Das Erdbeben wurde nicht nur zu einem schmerzlichen, sondern auch zu einem medialen Ereignis.
Berlusconi hat sofort verstanden, welche Möglichkeiten in dem tragischen Event enthalten waren: Er begab sich sofort nach Aquila, koordinierte persönlich die ersten Hilfsmaßnahmen und schleppte die G8-Delegationen dorthin (alle erinnern sich an die Fernsehbilder, welche die Spaziergänge von B. mit Angela Merkel oder mit Obama durch die Ruinen von Aquila zeigten). Und sein Pressesprecher ließ verlauten, dass er auch etwa 30mal dorthin zurückkehrte. Eigentlich tat er damit nur seine Pflicht, aber man muss anerkennen, dass er es schnell tat. In der Phase der größten Not hat der Zivilschutz alles Nötige und Mögliche getan, um den Verletzten zu helfen und Notunterkünfte für die Obdachlosen zu finden. Dann aber verlöschten die Scheinwerfer, die öffentliche Aufmerksamkeit und die Medien wandten sich anderen Themen zu. Und die Besuche von Berlusconi wurden immer seltener.
Über ein Jahr nach dem Erdbeben hat sich Massimo Cialente, der Bürgermeister von Aquila (Demokratische Partei), der in der Vergangenheit die ersten Hilfsmaßnahmen der Regierung durchaus gelobt hat, mit einem verzweifelten Appell an die Öffentlichkeit gewandt:
„Seitdem es uns teilweise gelungen ist, eine vorläufige Stadt (mit provisorischen Unterkünften, provisorischen Schulen, provisorischen Hörsälen) aufzubauen, befinden wir uns in einer dramatischen Lage. Denn unser Wirtschaftsleben liegt am Boden, und was noch schlimmer ist: Ein wirklicher Wiederaufbau kommt nicht in Gang. Unser Albtraum ist es, dass wir wieder dazu kommen sollen, Beiträge, Steuern und Versicherungen zu zahlen und gleichzeitig alle aufgelaufenen Schulden wieder abtragen zu müssen. Für Tausende von Familien und vor allem von kleinen Selbständigen aus Aquila bedeutet dies, dass sich für sie das Höllentor zur Verzweiflung öffnet. Der Wiederaufbau kommt nicht voran, weil wir keine Ressourcen haben“.
In einem Brief an die Chefredakteure der italienischen Tageszeitungen hat er sie aufgefordert, die Stadt am 22. Juni zu besuchen:
„Wir bitten Euch, allen Italienerinnen und Italienern über eine Stadt zu berichten, die es nicht mehr gibt. Das Drama der Stadt Aquila, unsere Verzweiflung, der Wiederaufbau sind in Wahrheit vor allem ein Problem des gesamten Landes“.
Seitdem sich das Erdbeben nicht mehr medial vermarkten lässt, sind B. und seine Regierung zu anderen Themen übergegangen. Zu beschäftigt mit den Gesetzen, welche die Pressefreiheit einschränken und die persönlichen Interessen des Ministerpräsidenten wahren sollen, haben sie keine Zeit, um sich ernsthaft mit dem Wiederaufbau von Aquila zu beschäftigen. Wie häufig in Italien ist das Wichtige das In-Erscheinung-treten. Die „bella figura“ zählt mehr als das nachhaltige Ergebnis.