Dell’Utri und B.s Stallknecht
Marcello Dell’Utri, der enge Mitarbeiter und Freund von Silvio Berlusconi, welcher kürzlich erneut zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, sitzt gegenwärtig im italienischen Senat, nachdem er fünf Jahre lang – von 1999 bis 2004 – die Bänke des Europaparlaments drückte. Im Senat hat er nicht viel auf die Reihe gebracht – in den 10 Jahren, die er dort insgesamt verbrachte, hat er keine einzige Gesetzesvorlage eingebracht. Auch in der Fraktion der Europäischen Volkspartei, der Dell’Utri angehörte, fiel er nicht durch besonderen Fleiß auf. In fünf Jahren setzte er seinen Namen unter fünf Vorlagen, die von anderen eingebracht worden waren, und stellte persönlich – was für ein Kraftakt! – eine Anfrage. Sehr verständlich bei einem Signore, der gegenüber der Zeitung „Fatto Quotidiano“ erklärte:
Wogegen verteidigt sich Dell’Utri? Offenbar gegen die Nachstellungen der Justiz. Wie sein Freund B. wehrt sich Dell’Utri gegen die Staatsanwaltschaften mehrerer italienischer Städte, die wegen verschiedener Vergehen wie getürkte Rechnungen, Bilanzfälschungen und versuchte Erpressung Verfahren gegen ihn eingeleitet haben. Aber vor allem stemmt er sich gegen eine Anschuldigung, derentwegen er jetzt sieben Jahre Gefängnis riskiert, nämlich „Beihilfe für eine mafiose Organisation“.„Ich bin Politiker aus Notwehr. Die Politik kümmert mich einen Dreck. Ich verteidige mich mit der Politik, ich bin dazu gezwungen“.
Für den obersten italienischen Gerichtshof (Corte di Cassazione) liegt eine solche „Beihilfe“ dann vor,
„wenn eine Person, ohne stabil in ihre organisatorische Struktur eingebunden zu sein, eine mafiose Vereinigung konkret, spezifisch, bewusst und freiwillig in einer Weise unterstützt, die eine notwendige Bedingung für den Erhalt oder die Stärkung der operativen Möglichkeiten der Vereinigung ist“.
Die Weise, in der Dell’Utri die Mafia unterstützte, scheint all diesen Merkmalen zu entsprechen. In der erstinstanzlichen Urteilsbegründung hieß es:
„Die vielen Aktivitäten von Dell’Utri bildeten eine konkrete, spezifische, bewusste und freiwillige Unterstützung zum Erhalt, zur Festigung und Stärkung von Cosa Nostra, der sich damit die Möglichkeit bot, und zwar stets durch Vermittlung von Dell’Utri, mit wichtigen Kreisen der Wirtschafts- und Finanzwelt in Kontakt zu treten, um es ihr zu erleichtern, ihre illegalen Zielsetzungen – seien sie rein wirtschaftlicher oder politischer Art – zu verfolgen.“
In der Substanz wird ihm die Rolle des Vermittlers zwischen mafioser Organisation und von ihm vertretenen wirtschaftlichen Interessen zugeschrieben. Von welchen „wirtschaftlichen Interessen“? Nach Ansicht des Gerichts waren es diejenigen seines Freundes Berlusconi, für dessen Unternehmen (Edilnord und Publitalia) Dell’Utri lange tätig war, bis er zusammen mit B. das Partei-Unternehmen Forza Italia gründete.
Im Juli 1974 veranlasste Dell’Utri die Einstellung eines sizilianischen Freundes in der Villa di Arcore. Die Villa war das Domizil von B. und seiner Familie. Der Freund war Vittorio Mangano, schon damals ein Mitglied der Mafia, mit allem, was dazugehört (fünf Festnahmen, verschiedene Anzeigen, polizeinotorisch eine „gefährliche Person“). Eine Biografie, die Dell’Utri nach Ansicht des Gerichts nicht nur bekannt, sondern sogar der Grund der Einstellung war. Denn damit sollte vermieden werden, dass Familienmitglieder des heutigen Ministerpräsidenten ebenso gekidnappt wurden, wie es anderen Industriellenfamilien in den 70er Jahren geschah.
Das Kalkül von Dell’Utri war also: „Mit einem Mafioso im Haus macht die Mafia keine Schwierigkeiten“. Offiziell wurde Mangano als Stallknecht eingestellt, aber mit einem Gehalt, das – wie der Journalist Marco Travaglio herausfand – fünfmal höher lag als das Gehalt eines Richters. In Wirklichkeit beschäftigte er sich nicht mit den Pferden, sondern begleitete B. ins Büro, seine Frau beim Shopping und B.s Kinder zur Schule.
Das mag als folkloristische Episode erscheinen. Aber zusammen mit den erwiesenen Kontakten Dell’Utris zu obersten Mafia-Bossen wie Stefano Bontade, Antonio Calderone, Gaetano Cinà, Jimmy Fauci, Vincenzo Virga und dem genannten Mangano (der später zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt wurde) zeigt es schon deutlicher, welche Kontakte Dell’Utri zur Mafia unterhielt. Und zwar nicht nur Dell’Utri.