Ein neues Zentrum?

Der Bruch zwischen Berlusconi und Fini hat einiges in Bewegung gesetzt. Das zeigte sich bei der ersten Entscheidung, die danach anstand und mit der das Parlament in die Ferien ging: Die Opposition hatte gegen den Unterstaatssekretär im Justizministerium, Giacomo Caliendo, einen Misstrauensantrag eingebracht, nachdem bekannt geworden war, zu welch noblem Kreis er gehört: zu jener Clique von Strippenziehern, die inzwischen im Volksmund „P 3“ genannt wird (siehe Kasten). Und die im Dienste von B. Korruption und Mafiapflege betrieben, politische Konkurrenten mit gefälschten Sex-Dossiers erpressten und Richter beeinflussten (siehe den Beitrag „Freunde“ vom 30. 7.). Die Stimmung war aufgeladen, denn B. hatte Neuwahlen angekündigt, wenn der Misstrauensantrag eine Mehrheit fände.

Geheime Netzwerke, eine italienische Tradition

(s. Wikipedia)

Der Freundeskreis, dem offenbar auch Caliendo angehörte, wird inzwischen in der italienischen Öffentlichkeit der „P 3“-Kreis genannt, in Anspielung auf die berüchtigte Loge „P 2“ („Propaganda 2“), die 1981 aufflog und 1982 verboten wurde.

Die „P 2“ war ursprünglich eine italienische Freimaurerloge, die in den 1970er Jahren zu einer politischen Geheimorganisation mutierte. Bei der Untersuchung ihrer Aktivitäten wurde bekannt, dass hier ein konspiratives Netzwerk aus Führungspersonen von Polizei, Militär, Wirtschaft, Politik, Mafia und Geheimdiensten entstanden war. Auch hier ging es um Korruption und Posten. Es gab aber auch den ernsten Verdacht, dass die „P 2“ Pläne für einen Staatsstreich entwickelt hatte und mit Terroranschlägen in den 1970er Jahren in Verbindung stand.

Auch Silvio Berlusconi gehörte zu den Mitgliedern der „P 2“. Zwar bestritt er dies, wurde aber daraufhin wegen Meineides verurteilt. Auch jetzt wieder bestreitet er, dass er oder einer seiner Parteifreunde irgendetwas mit dem „P 3“-Kreis tun zu hätten.

Die Abstimmung fand am 4. August statt, und sie ging für die Opposition verloren. Aber nicht deshalb, weil eine parlamentarische Mehrheit Caliendo das Vertrauen aussprach, sondern weil es unter den 630 Parlamentariern 75 Abgeordnete gab, die sich der Stimme enthielten. Zu ihnen zählten auch die 34 Abgeordneten, die der Fini-Gruppe zugerechnet werden, bisher zur Regierungsmehrheit gehörten und jetzt den Namen „Futuro e Libertà. Per l’Italia“ tragen.

Für diejenigen, die hofften, Fini habe sich inzwischen zum prinzipienfesten Verteidiger des italienischen Rechtsstaats entwickelt, war dies eine Enttäuschung. Hatte nicht gerade er in den letzten Monaten festgestellt, dass es in der italienischen Politik eine „moralische Frage“ gebe, und gefordert, alle Politiker, gegen welche die Justiz ermittelte – wie im Fall Caliendo – sollten bis zur Klärung der Sachlage ihre Ämter ruhen lassen? Aber die Fini-Gruppe enthielt sich, und zwar mit einer taktischen Begründung, die nicht gerade für Selbstvertrauen spricht. Man wolle der Berlusconi-Regierung keinen Vorwand liefern, um sofortige Neuwahlen zu fordern. Trotzdem zeigte die Abstimmung: Berlusconi hat im Parlament keine eigene Mehrheit mehr. Er kann nur noch weiterregieren, wenn sich – wie auch dieses Mal – eine Gruppe von Abgeordneten, die nicht mehr in die Regierungskoalition eingebunden ist, der Stimme zumindest enthält.

Was aber auf längere Sicht noch wichtiger sein könnte: Die Mittelgruppe, die sich der Stimme enthielt, hatte ihr Verhalten vorher untereinander abgestimmt. Außer um Finis „Futuro e Libertà“ handelt es sich um die etwa gleichgroße Abgeordnetengruppe der UDC um Pier Ferdinando Casini, einem Überbleibsel der alten Democrazia Cristiana, und um eine kleinere linkskatholische Gruppe um Franceso Rutelli, den ehemaligen Bürgermeister von Rom. Sie kündigten an, auch in Zukunft zusammenarbeiten zu wollen. B.s Hoffnung, einen Teil von ihnen mit seinen „großzügigen Angeboten“ – Minister- und Unterstaatssekretärsposten, vermutlich auch Geld – als Ausgleich für die abgängigen Fini-Leute in die Koalition einzubeziehen, erhielt damit einen empfindlichen Dämpfer.

Damit zeichnet sich am Horizont eine Möglichkeit ab, die historisch überholt schien: die Wiederauferstehung einer politischen Kraft im Zentrum und damit die Überwindung eines „Bipolarismus“, der sich äußerlich an das US-amerikanische Beispiel anlehnt. Auch ich habe lange geglaubt, ein solcher Bipolarismus stelle für Italien einen Fortschritt dar. Inzwischen liegen Erfahrungen vor, was er für Italien bedeutet: auf der etwas linkeren Seite der „Demokraten“ ein schwaches Bündnis, das versagt, wenn es das Unglück hat, die Regierung übernehmen zu müssen. Auf der Seite der rechteren „Republikaner“ ein ungebremster Populismus ohne Wertbindung (Berlusconi), garniert mit antinationalem Regionalismus und hemmungsloser Fremdenfeindlichkeit (Lega). Entstünde hier im Zentrum eine neue wirklich konservative Kraft, wären vielleicht auch neue Koalitionen möglich. Und der italienische Teufelskreis könnte durchbrochen werden.