Stille Revolution aus dem Wasser
1, 4 Millionen Unterschriften, um ein Referendum gegen die Privatisierung des Wassers zu erzwingen. Die größte Unterschriftensammlung in der Geschichte italienischer Volksbefragungen, fast das Dreifache der gesetzlich erforderlichen Anzahl. Ein großartiges Ergebnis, welches das „Italienische Forum der Bewegungen für das Wasser“ mit seinen vielen lokalen Komitees erzielte. Mit Tausenden von Freiwilligen, die sich von den Großstädten bis zu den kleinsten Gemeinden selbst organisierten.
Das Gesetz 133/08, gegen das sich die Unterschriftensammlung wendet und über das demnächst das Volk abstimmen kann, wurde 2008 von der frisch gewählten Berlusconi-Regierung verabschiedet. Sein erklärtes Ziel ist es, die Wasserversorgung in Italien zu privatisieren, durch Ausschreibung an den jeweils Meistbietenden, oder durch die Übergabe der Wasserversorgung an gemischte staatlich-private Träger, bei denen der Anteil des Privatkapitals jedoch bei mindestens 40 Prozent liegen muss.
Auch in Fondi waren wir aktiv: Zwei Monate lang standen wir mit unserem Tisch auf dem zentralen Platz der Stadt und kämpften um die Unterschrift der Vorbeikommenden. Alte Leute, die es mit ihrer kleinen Rente nicht mehr schaffen, die immer teurer werdenden Wasserrechnungen zu bezahlen. Junge Paare, die in Häusern wohnen, in denen das Wasser nicht einmal ankommt. Studenten, Angestellte, Arbeiter, kleine Geschäftsleute, Ärzte. Menschen aus jeder sozialen Schicht, mit allen politischen Orientierungen.
Das ist das Ergebnis einer Unterschriftensammlung, die ohne jede Unterstützung durch die Massenmedien stattfand (über die Berlusconi verfügt). Und dabei nicht nur auf die offene Gegnerschaft der Mitte-Rechts-Mehrheit, sondern auch auf die Obstruktion der im Parlament vertretenen Opposition (der Führung von PD und IDV) traf.
Die Bedeutung der vielen Unterschriften, die in Fondi und der ganzen Provinz Latina gesammelt wurden, geht darüber hinaus. Hier zeigte die Privatisierung des Wassers ihr brutalstes Gesicht, nachdem die Acqualatina AG die Versorgung übernahm. Sie hat zwar der Form nach eine „gemischte“ Kapitalstruktur, in der die öffentliche Hand über die Mehrheit verfügt. Aber de facto wird sie von der multinationalen französischen Veolia kontrolliert, zusammen mit einer Gruppe öffentlicher Administratoren, an deren Spitze politische Lokalfürsten stehen (ihr Präsident war bis vor kurzem Senator Fazzone, der im Verwaltungsrat weiterhin die Fäden zieht). Die Gebühren wurden erhöht, ohne dass sich an den bisherigen Leitungsverlusten und Versorgungsengpässen etwas änderte. Familien, die mit ihren Gebührenzahlungen in Verzug gerieten, wurden eingeschüchtert oder sogar von der Wasserversorgung abgekoppelt.
In diesen Jahren stieß die Acqualatina aber auch auf den Widerstand lokaler Initiativen, wie zum Beispiel in Aprilia. Dort beschlossen die Bürger schon 2005, ihre Wasserrechnungen nicht mehr an die Acqualatina zu bezahlen, als Signal dafür, dass sie die private Trägerschaft der Wasserversorgung nicht mehr anerkennen. Stattdessen überweisen sie das Geld direkt auf ein Konto der Kommune. So wurde Aprilia zum Symbol des Widerstands gegen die „Wasserverkäufer“.
Im Frühjahr 2011 werden die Italiener per Volksabstimmung entscheiden, ob sie die Wasserversorgung weiterhin profitorientierten Aktiengesellschaften anvertrauen wollen. Der Erfolg der Unterschriftensammlung zeigt, dass es in Italien eine Massenbewegung gibt, die nach Demokratie und sozialer Beteiligung verlangt. Und zwar nicht erst seit heute. Die Volksbefragung ist nur eine Station in einem Kampf, der seit fast zehn Jahren kapillar in allen Regionen ausgetragen wird. Inzwischen überführte die Region Apulien unter ihrem Präsidenten Nichi Vendola den dortigen Aquädukt, mit 20 000 Km der längste Europas, in ein öffentliches Unternehmen.
Nun machen die anderthalb Millionen Unterschriften Furore, der Chor der Gegner wird lauter. Wirtschaftsminister Tremonti ließ verlauten: „Die Volksbefragung ist ein Bluff, das Wasser gehört sowieso dem Volk“. Die Privatisierungsbefürworter behaupten, Berlusconis Privatisierungsgesetz entspräche verbindlich vorgeschriebenen europäischen Normen. Wir wissen, dass dem nicht so ist und die EU es den einzelnen Ländern überlässt, ob sie die „Integrierte Dienstleistung Wasser“ für „ökonomisch relevant“ halten oder nicht. Holland zum Beispiel überlässt die Wasserversorgung ausschließlich öffentlichen Trägern, in Frankreich soll dies noch im Jahr 2010 durchgesetzt werden.
Die Auseinandersetzung über das öffentliche Gut Wasser ist eröffnet. Nach einem Jahrzehnt neoliberaler Verblendung kann von Italien aus eine stille Revolution beginnen.