Gespenst Neuwahlen


„Finis Affäre“

Das ist der Sachverhalt: Eine wohlhabende Gönnerin hatte Finis ehemaliger Partei „Alleanza Nazionale“ (AN) eine 60-qm-Wohnung in Montecarlo vererbt, die daraufhin in den Partei-Bilanzen mit einem Wert von 450 Mio. Lire (ca, 230 000 €) erschien. Nach jahrelangem Leerstand wurde sie im Oktober 2008 für 300 000 € an eine Gesellschaft mit Sitz in einer karibischen Steueroase verkauft, mit Finis Zustimmung. Vermittler der Transaktion war Finis Schwager Giancarlo Tulliani. Was die Berlusconi-Presse zum „Skandal“ aufblasen möchte: Nach dem Verkauf der Wohnung mietete sich Tulliani in sie ein.

Festzuhalten ist:

  1. Es handelt sich, wenn überhaupt, um einen „Fall Tulliani“. Gegenüber Fini gibt es nicht einmal Vorermittlungen.
  2. Es geht nicht um öffentliche Gelder, sondern um Parteigelder der AN.
  3. Man kann kaum behaupten, dass sie in diesem Fall veruntreut wurden, denn der Verkaufspreis der Wohnung lag über deren Schätzwert.

Der Rausschmiss der Fini-Gruppe aus der PdL hat für B. nicht nur erfreuliche Folgen. Zwar ist die Bahn in der Partei endlich frei; es gibt keine lästigen Legalisten mehr, die ihm hier noch in die Quere kommen. Andererseits weiß er seit der Abstimmung über Caliendo („P3“), dass er im Parlament keine sichere Mehrheit mehr hat.

B.s erste Reaktion war es, Neuwahlen anzudrohen, spätestens im kommenden Frühjahr. Dass dies nach einer nur zweijährigen Regierungszeit (mit komfortabler Mehrheit) auch als politisches Scheitern gedeutet werden kann und bei Wahlen zuletzt immer nur die Lega zulegte, ist für ihn kein Thema. Hauptsache, seine Koalition gewinnt, und B. bleibt ihr Chef. Für alle Fälle forderte er schon mal sein – endlich gesäubertes – „Freiheitsvolk“ auf, sich auf die „größte von-Tür-zu-Tür-Kampagne vorzubereiten, die es je in Italien gab“, und sich bis dahin in „permanenter Mobilisierung“ zu halten.

Oder genügt auch schon die Androhung von Neuwahlen? Müssen Fini und die Opposition sie nicht mehr fürchten als B.selbst? Die Selbstzweifel, die B. konstitutionell fehlen, hat die Opposition im Übermaß. Jetzt gerade streitet sie um die Bündnisfrage, was kleinere Parteien wie die IdV und UDC zu munteren Erpressungsversuchen stimuliert (wenn Du mit denen gehst, dann ohne mich). Das Bild der Opposition ist kläglich, sie weiß es selbst. Der Strohhalm, nach dem Bersanis PD greift, ist Staatspräsident Napolitano, der Neuwahlen erst einmal zustimmen muss und sie nur als Ultima Ratio will. So kam die PD auf die Idee einer „technischen“ Übergangsregierung, die vor allem zwei Aufgaben hätte: einen neuen Haushalt zu verabschieden und das Wahlgesetz zu ändern. Neuwahlen wären damit nicht verhindert, aber verschoben. Der Vorschlag hat den Pferdefuß, dass sich auch Teile der PdL in eine solche (Not-)Koalition einbinden lassen müssten. Konkrete Anhaltspunkte gibt es dafür nicht. Die Opposition möchte, man bemerkt es, vor allem schnelle Neuwahlen vermeiden. Aufbruchstimmung erzeugt das nicht gerade.

Auch die Fini-Gruppe, so B.s Kalkül, ließe sich mit der Androhung von schnellen Neuwahlen zermürben. Immerhin präsentierte sie sich vor zwei Jahren noch als Teil der PdL – würden die Wähler ihr auch dann folgen, wenn sie sich selbständig zur Wahl stellt? Und wenn sich die Gruppe schon bei der Caliendo-Abstimmung durch Enthaltung aus der Affäre zog und damit B. eine relative Mehrheit verschaffte, wäre das nicht auch ein Modell für die nächsten Jahre? Es könnte ja so weitergehen: Die Regierung stellt bei jeder Entscheidung die Vertrauensfrage, die Fini-Gruppe stimmt zu oder enthält sich, eine zumindest relative Mehrheit ist sicher.

Bei einfachen Gesetzen reicht das. Aber B.s Ehrgeiz geht weiter. Er will auch die ungeliebte Verfassung ändern, und dafür braucht er leider laut Art. 138 ebendieser Verfassung absolute Mehrheiten. Also doch lieber sofortige Neuwahlen? Diesen Ausweg blockiert vorerst der Staatspräsident, zum maßlosen Ärger von B. Am aussichtsreichsten ist es immer noch, aus der Fini-Gruppe Kleinholz zu machen. Einerseits locken B. und seine Helfer zum Seitenwechsel, mit Geld, Posten und Karriere. Täglich gibt es neue Wetten, wie viele von Finis Gefolgsleuten noch rübergezogen werden können. Andererseits gibt B.s Medienmaschine schon einmal einen Vorgeschmack auf das, was Abtrünnigen im Wahlkampf blüht. An Fini selbst, dem verhassten Moralapostel, wird das Exempel statuiert. Der Aufhänger ist eine substanzlose „Affäre“ um eine Wohnung in Montecarlo (s, „Finis Affäre“).

Man mag fragen: Sollte, wer so im Glashaus sitzt wie B., nicht lieber vorsichtig sein beim Steinewerfen? Wofür er nun Fini in Haftung nehmen will, das hat er tausendfach selbst begangen, in ganz anderen Dimensionen, mit viel kriminellerer Energie. Die Antwort ist einfach: Wenn ich mich schon nicht reinwaschen kann vom Ruch der Rechtsbeugung und Korruption, dann kann ich wenigstens alle, die mir politisch gefährlich sind – zu ihnen gehört Fini –, ins gleiche Schlammloch ziehen. Das ist zynisch und erzeugt neuen Zynismus. Denn es bestätigt scheinbar – und hier kommt es auf den Schein an -, was die meisten Italiener sowieso glauben: dass die Politik von Dieben und Verbrechern gemacht wird. Aber was schert B. und seinen Hofschranzen die politische Kultur? Entscheidend ist: Es könnte funktionieren. Zumal der Chef keine Skrupel kennt und ihm ein Medienimperium gehört.

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