Brief aus Italien (3)
„Dossieraggio“
So wird inzwischen das Verfahren genannt, mit dem B. seine Kritiker erledigt. B. steht im Ruf, über alle, die für ihn von Interesse sind (Mitstreiter inbegriffen), Dossiers mit belastendem Material anzulegen, um sie bei Bedarf aus der Schublade zu ziehen. Wenn kein echtes Material zu beschaffen ist, wird es erfunden. Hauptsache, es vernichtet und ist schwer zu widerlegen. B.s „Giornale“ wandte es vor zwei Jahren gegen den damaligen Chefredakteur der italienischen Bischofszeitung (Boffo) an, der ebenfalls gewagt hatte, B. zu kritisieren. Das Kampfblatt begann eine Kampagne: Es habe Dokumente, die bewiesen, dass Boffo schwul sei und die Ehefrau seines männlichen Geliebten bedrohe. Mit Erfolg, denn Boffo, ein Familienvater mit Kindern, gab schließlich entnervt sein Amt auf. (Später ließ der von B. eingesetzte Chefredakteur des „Giornale“ verlauten, er habe sich wohl „geirrt“). Seitdem heißt das Verfahren auch „Methode Boffo“. Ähnlich versuchte im Herbst 09 B.s Freundeskreis „P 3“, B.s Freund Cosentino (den die Gerichte wegen seiner Arbeit für die Camorra schon in U-Haft nehmen wollten) als PdL-Kandidaten für den Gouverneur von Kampanien durchzusetzen. Sein innerparteilicher Konkurrent Caldoro sollte mit gefälschten „Beweisen“ dafür, dass er schwul sei und mit Transsexuellen verkehre, außer Gefecht gesetzt werden. Diesmal ohne Erfolg. Schlimmer noch: Die „P 3“-Leute wurden bei der Arbeit am Dossier abgehört. Für B. und seine Freunde heißt das, beim „Dossieraggio“ künftig noch vorsichtiger vorzugehen. Wie jetzt bei Fini.
Vernichtungsangriff gegen Fini
Wer Italien auch ein wenig als Wahlheimat betrachtet, hat gegenwärtig ein Problem. Denn es ist nicht nur innere Ablehnung, welche die derzeitigen politischen Verhältnisse hervorrufen. Es ist auch Ekel. Und es kostet Kraft, zu ihm Distanz zu halten.
In den letzten Tagen war eine öffentliche Hinrichtung zu besichtigen, ganz Italien war Zeuge. Endgültig zur Strecke gebracht werden soll Gianfranco Fini, B.s Konkurrent, der es wagt, ihm zu widersprechen und von ihm auch noch an Legalität und Respekt vor demokratischen Institutionen einzufordern. Zudem auch noch die Meinungsforscher sagen, er könne B. bei der nächsten Wahl einige entscheidende Prozentpunkte kosten.
Schon vor einem Jahr hatte der „Giornale“, B.s familiäres Kampfblatt, Fini öffentlich gewarnt. Wenn er „nicht ins Glied zurücktritt“, habe man gegen ihn etwas in der Hinterhand. Man könnte es für unklug halten, eine mediale Hinrichtung anzudrohen, bevor sie wirklich stattfindet. Aber so verfährt in Italien die kampferfahrene Mafia, und zwar nicht ohne Grund. Denn sie zeigt damit anderen potenziellen Abweichlern, dass ihr niemand entkommt. Mit dem Unterschied: die Mafia tötet physisch, B. „nur“ medial.
Es war wohl nicht ganz leicht, bei dem superkorrekten Fini einen Schwachpunkt zu finden. Man fand ihn in seinem familiären Umfeld: Finis Schwager Tulliani (der Bruder seiner Lebensgefährtin) ist jung, hübsch und ein wenig schnöselig, führt ein parasitäres Leben und genießt das römische Nachtleben. Und ist bei alledem nicht gerade der Hellste. Das war der Ansatzpunkt. Hinzu kam, dass eine reiche Gönnerin in Montecarlo der Alleanza Nazionale (AN), Finis alter Partei, eine Wohnung vermacht hatte, welche die AN wiederum an eine Immobilienfirma mit Sitz in der Karibik (St. Lucia) verkaufte. In diese Wohnung mietete sich Finis Schwager ein. Als der „Giornale“ bei Fini anfragte, was sein Schwager in dieser Wohnung zu suchen habe, war Finis Antwort: Er hat es gemietet.
Vor einigen Tagen ließ der „Giornale“ die Bombe platzen: Die Recherchen des Blattes hätten ergeben, dass hinter der Immobilienfirma in der Karibik niemand anderes als Finis Schwager selbst stecke, der somit Eigentümer und Mieter der Wohnung in einem sei. Und legte dafür ein etwas obskures Schreiben eines nicht weniger obskuren Justizministers des Inselstaates vor, welches das bestätigen sollte. Einen Sinn bekäme das Tulliani unterstellte Manöver dann, wenn er sich so die Wohnung unter Wert angeeignet hätte. Dann wäre es Veruntreuung (von AN-Geldern), wofür der Beweis allerdings bisher aussteht.
Trotzdem ist nun der Teufel los. Der „Giornale“ legte sofort nach, mit dem vereinigten PdL-Chor im Rücken: Fini sei bei einer Lüge erwischt worden und müsse sofort von seinem Posten als Parlamentspräsident zurücktreten. Die oppositionelle Presse verweist auf Ungereimtheiten: Zwischen der Inselregierung und B., der selbst ein großer Offshore-Jongleur ist, gebe es Verbindungen, das Schreiben des Justizministers von St. Lucia könnte auch eine Gefälligkeit sein. Ein Rechtsanwalt meldete sich mit der Erklärung, einer seiner Klienten, der in der Schweiz lebe, sei Eigentümer der Wohnung in Montecarlo. Tulliani kenne er gar nicht. Fini erklärte, Tulliani habe ihm nochmals versichert, nur Mieter, nicht aber Eigentümer der Wohnung zu sein. Als Parlamentspräsident werde er zurücktreten, wenn sich herausstelle, dass diese Versicherung falsch sei.
Es gibt in Italien viele, die B. alles zutrauen. Auch dass er sich das „St. Lucia-Dossier“ gegen Fini von den italienischen Geheimdiensten zusammenschustern ließ. Unbezweifelbar ist, dass einen Tag nach der „Enthüllung“ das Parlament beschloss, dass in einem neuerlichen Korruptionsverfahren, welches gegen B.s Freund Cosentino anhängig ist, keine polizeilichen Abhörprotokolle verwandt werden dürfen. Die Fini-Gruppe stimmte überwiegend dagegen, aber B. hatte vorgesorgt und inzwischen im Parlament neue Unterstützer eingekauft.
Besser konnte es für B. nicht laufen. Während seine Medienmaschine den „Legalisten“ Fini zusammenkartätscht, wegen einer Angelegenheit, die eigentlich nur Finis Schwager etwas angeht, sorgt er für die Straffreiheit seiner Mafia-Freunde. Und vor allem für die eigene. Bei ihm geht es um Milliarden. Es scheint, dass er damit erneut durchkommt.