La Porcata (I)
Zum Wahlrecht
Eine der offenen Wunden der italienischen Demokratie ist das Wahlrecht. Von der Opposition wird sie als so schmerzhaft empfunden, dass angesichts der gegenwärtigen Krise des Berlusconi-Regimes folgende Idee diskutiert wird: Bildung einer Übergangsregierung, deren einzige Aufgabe es ist, das Wahlgesetz zu ändern. Um dann anschließend Neuwahlen abzuhalten. Dabei scheint die Frage, wie ein verändertes Wahlrecht aussehen könnte, noch völlig ungeklärt zu sein (wir werden darauf in einem späteren Beitrag eingehen). Im Folgenden beschränke ich mich darauf, das geltende Wahlgesetz darzustellen.
Eine „Porcata“, zu Deutsch „Schweinerei“, nannte Roberto Calderoli (Lega) seine eigene Schöpfung, das italienische Wahlgesetz, das er 2005 in B.s Auftrag entwarf. Seitdem trägt es öffentlich diesen Namen – oder vornehmer „Porcellum“, das Gleiche auf Latein. Lega-Chef Bossi nennt es „perfekt“ – in seinen Regionen sichert es ihm die absolute Herrschaft. Und der Betrachter wundert sich, wie unverfroren B.s Koalition das Wahlrecht zum Instrument eigener Machterhaltung macht.
Seine wichtigsten Merkmale sind:
- Es ist ein reines Listenwahlrecht, das alle Elemente einer Personenwahl ausmerzt.
- Es benachteiligt kleine Parteien und begünstigt große Bündnisse, indem es den relativen Gewinner mit einer großzügigen „Prämie“ belohnt.
- Es schwört die kleineren zu einer Koalition gehörenden Parteien auf deren „Capo“ ein.
- Es lässt unterschiedliche Mehrheitsbildungen in Parlament und Senat zu.
(1) Schon beim deutschen Wahlrecht mag man streiten, ob es nicht die Möglichkeiten der Wähler, bei Bundestagswahlen auf die Auswahl der Abgeordneten Einfluss zu nehmen, allzu beschränkt: Das einzige Moment einer Persönlichkeitswahl ist die Erststimme, mit der der Wähler in seinem Wahlkreis entscheidet, welcher Kandidat direkt gewählt wird.
In Italien entfällt auch dieses Relikt einer Persönlichkeitswahl. Die Wahlkreise haben die Größe eines halben deutschen Durchschnittslandes, und der Wähler kann sein Kreuz nur Parteien, nicht Personen geben. Dies gilt auch für die Senatswahlen. Wer in den Wahlkreisen gewählt wird, hängt nur vom Listenplatz ab, über den allein die Partei entscheidet.
Natürlich wird die politische Bühne Italiens aus rechter Sicht von der Person Berlusconi beherrscht. Er ist „der Mann des Volkes“, der „große Kommunikator“. Die Parteienherrschaft, die das Wahlrecht zementiert, vollzieht sich in seinem Schatten.
Seit Oktober 2005 versucht die italienische Opposition, ein demokratisches Gegenprinzip zu etablieren, indem sie nach US-Vorbild sog. „Primarie“ zur Auswahl ihres Spitzenpersonals durchführt. Angesichts möglicher vorzeitiger Neuwahlen sind diese erneut im Gespräch, um den Spitzenkandidaten für das Mitte-Links-Bündnis zu finden. Auf der Rechten gibt es solche „Primarie“ nicht, „es gibt ja nur einen Berlusconi“.
(2) In Deutschland kündigen die Parteien vor Wahlen oft an, wer ihr Wunschpartner für eine Regierungskoalition ist. Aber über die reale Koalition wird erst nach der Wahl entschieden, angesichts der dann gegebenen Mehrheitsverhältnisse.
Das italienische Wahlrecht schiebt dem einen Riegel vor. Zunächst ermuntert es die Parteien, vor der Wahl Bündnisse zu bilden und diese, mit gemeinsamen Regierungsprogramm und präsumtivem Koalitionsführer, vorher anzumelden. Vor allem verspricht es, das Bündnis mit den meisten Stimmen im Parlament mit einer absoluten Mehrheit von mindestens 54 % (340 von 630 Abgeordneten) auszustatten, auch wenn ihm nach Proporz weniger zustünde. Der „Bonus“ zusätzlicher Abgeordnetensitze wird anteilig auf die Koalitionsparteien verteilt.
Völlig ausgeschlossen von der Sitzverteilung im Parlament werden Parteienbündnisse, die weniger als 10 % der Stimmen erhalten, und Einzelparteien (die nicht Teil eines Bündnisses sind) mit weniger als 4 %. Wenn sich eine kleinere Partei an einem Bündnis beteiligt, das gemeinsam die 10 %-Hürde überspringt, sinkt diese Barriere auf 2 %.
Der Druck in Richtung auf ein bipolares Bündnissystem ist unverkennbar. Schon die Bildung eines dritten Pols – z. B. im Zentrum – wird massiv behindert: „nach unten“ durch die 10 %-Barriere, „nach oben“ durch die fehlende Aussicht auf Bonus und Regierungsbeteiligung.
Fortsetzung folgt!