La Porcata (II)
Zum Wahlrecht
Vorbemerkung der Redaktion: Wir setzen hier die Darstellung des geltenden italienischen Wahlrechts fort, die wir am 8. September begannen.
(3) Dass man nach italienischem Wahlrecht keine Partei, sondern im Normalfall auch ein Bündnis wählt, mit einem gemeinsamen „Programm“ und vor allem mit einem gemeinsamen „Capo“, ist keine Formalität. Es ist Teil einer populistischen Politik-Konzepts, in dem die im Bündnis vereinten Parteien in Vasallentreue zu „Programm“ und Leader stehen. Unter dieser Voraussetzung, so lässt sich beim geltenden Verfahren argumentieren, machen die Menschen ja bei ihnen ihr Kreuz. Das Verhalten der Fini-Gruppe zeigt, wie wirkungsmächtig dies ist: Sie wurde zwar von Berlusconi persönlich aus der PdL gejagt, aber muss weiter beteuern, zum gemeinsamen Programm und zur Person von B. zu stehen, um sich gegenüber dem Vorwurf der „Untreue“ und „Wählertäuschung“ nur ja keine Blöße zu geben.
(4) Komplizierter ist die Mehrheitsbildung im Senat. Hier verlangt die immer noch geltende Verfassung, zum Leidwesen von B.s Wahlrechtsexperten, die Wahl der Senatoren auf regionaler Basis. Eine Mehrheitsprämie auf nationaler Ebene ist damit ausgeschlossen. Um auch hier Bündnisse zu „belohnen“, werden dem Bündnis, das in der einzelnen Region nach der Stimmauszählung vorne liegt, mindestens 55 % der dieser Region zustehenden Senatorensitze garantiert. Der Druck in bipolarer Richtung ist hier noch deutlicher: Bei der regionsspezifischen Abrechnung fallen sogar Wahlbündnisse unter den Tisch, die weniger als 20 %, und einzeln antretende Parteien, die weniger als 8 % der Stimmen erhalten.
Damit bleibt die Mehrheitsbildung im Senat schwieriger als im Parlament. Denn hier können die „Boni“ regional unterschiedlichen Blöcken zugute kommen und sich in ihrer Wirkung gegenseitig aufheben. Es ist sogar möglich, dass es hier zu einer anderen politischen Mehrheit als im Parlament kommt. Da die Wähler zum Parlament nur mindestens 18 Jahre, zum Senat aber 25 Jahre alt sein müssen, ist auch die Wählerschaft unterschiedlich. Dass dies keine graue Theorie ist, zeigte das Schicksal der letzten Prodi-Regierung, die im Parlament über eine stabile, im Senat aber nur hauchdünne Mehrheit verfügte und schließlich auch im Senat zu Fall kam.
B. scheint sich zur Zeit sicher zu sein, bei Neuwahlen für sein Bündnis mit der Lega im Parlament eine relative – und somit aufgrund des Wahlgesetzes absolute – Mehrheit zu bekommen. Die Mehrheit im Senat ist hingegen unsicher, weshalb B. zögert.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass das italienische Wahlrecht – im Unterschied zum deutschen, dass die Parteien privilegiert – auf die Bildung zweier großer Bündnisse zielt, die miteinander um die „Mehrheitsprämie“ konkurrieren Als Vorteil mag man sehen, dass sich dadurch das Gestrüpp der kleinen und selbständig im Parlament vertretenen Parteien lichtet. Aber gegenüber Versuchen, den italienischen „Bipolarismus“ zu verlassen und vielleicht einen „dritten Pol“ im Zentrum zu schaffen, erweist es sich als Prokrustes-Bett.* Die Chancen der Wähler, auf die Auswahl der Personen Einfluss zu nehmen, die sie in Parlament und Senat vertreten, sinken überdies auf Null. Stattdessen stärkt es die Position der „Leader“. Das Problem, dass es in Parlament und Senat zu unterschiedlichen politischen Mehrheiten (und damit zu legislativer Handlungsunfähigkeit) kommen kann, löst auch dieses Wahlrecht nicht. Das ist gravierend für die Regierbarkeit Italiens, weil hier (anders als in Deutschland) beide Kammern gleiche Zuständigkeiten haben, also jedes Gesetz de facto zweimal verabschiedet werden muss.
* Prokrustes war der mythische Riese, der alle, die in seine Hände fielen, auf ein Bett legte. Waren sie zu lang, streckte er sie, waren sie kurz, hackte er etwas von ihnen ab. Theseus machte ihn schließlich unschädlich.