Santoro und „la libertà“
Über Michele Santoro, einen der bekanntesten und kritischsten Fernsehmoderatoren Italiens und bevorzugtes Hassobjekt des Cavaliere, berichteten wir bereits. Seit Jahren versucht B., ihn und seine Talkshow „Annozero“ loszuwerden. Vor einigen Jahren, so schien es, endlich mit Erfolg, bis ein Arbeitsgericht (das wohl auch zur „kriminellen Vereinigung“ gehört, die B. in der Justiz ausmachte) die Suspendierung für unrechtmäßig erklärte. „Annozero“ kam wieder ins Programm. Was nichts daran änderte, dass der Druck auf Santoro seitdem stetig gestiegen ist. Abhörprotokolle belegen, wie B. „seine“ Leute an der Spitze des Staatsfernsehens RAI telefonisch anwies, dafür zu sorgen, dass Santoro und „Annozero“ endlich von der Bildfläche – im wahrsten Sinne des Wortes! – verschwinden. Was zeitweilig auch gelang. Doch „Annozero“ kam immer wieder, zum Missfallen B.s, zur Freude der Zuschauer. Dafür nahmen die Versuche der RAI-Direktion zu, zumindest auf Santoros Sendung Einfluss zu nehmen. Sie sei zu „linkslastig“ bzw. „regierungskritisch“ und müsse ausgewogener werden. Fakt ist, dass bei „Annozero“ stets Vertreter verschiedener politischer Kräfte auftreten. Während die meisten Privatkanäle, die B. sowieso gehören, wie auch die wichtigsten öffentlichen Sender – vor allem die RAI 1 – zwischen Hofberichterstattung und schlichtem Verschweigen missliebiger Nachrichten schwanken. Nicht zufällig wird der Direktor von RAI 1, Minzolini, auch „Scondinzolini“ genannt, was etwa „schwanzwedelndes Hündchen“ bedeutet. Es ist ein schlechter Witz, wenn die RAI-Direktion gerade bei Santoro einen Mangel an objektiver Berichterstattung und Meinungsvielfalt entdeckt.
Die Kraftprobe dauert an, jetzt wurde erneut heftig ausgeteilt. Der Generaldirektor der RAI, Masi, verhängte über Santoro folgende Sanktion: vierzehntätiges Auftrittsverbot, „Annozero“ fällt zweimal aus. Warum? Santoro hatte während seiner Sendung besagten Direktor – ohne ihn namentlich zu nennen, aber mit ein paar „ausdruckstarken“ Metaphern – wegen seiner versuchten Einflussnahme auf „Annozero“ kritisiert. So erklärte Masi seine Entscheidung zur „Disziplinarmaßnahme“, denn der Journalist habe eine öffentliche Sendung in eigener Sache „missbraucht“ und überdies seinen Vorgesetzten – Masi – beleidigt.
Die Opposition und zahlreiche Medienvertreter verschiedenster Couleur, sogar Mitglieder der Regierungsparteien PdL und Lega Nord kritisierten die „Disziplinarmaßnahme“. Letztere freilich eher mit der Begründung, sie würde nur die Popularität Santoros erhöhen und ihn gar zum „Märtyrer“ hochstilisieren.
Am Tag nach Bekanntgabe der Sanktion hat Santoro in seiner Sendung dazu Stellung bezogen, nüchtern im Ton, hart in der Sache. An Druck und Drohungen habe er sich längst gewöhnt, er werde sich dadurch nicht beirren lassen. Aber seine Zuschauer bat er, an den RAI-Präsidenten kurze Erklärungen zu schicken mit folgendem Tenor: „Ich bin RAI-Gebührenzahler. Ihr könnt Santoro bestrafen, aber nicht meine Zuschauerrechte durch die Absetzung von „Annozero“ verletzen“. Die „emotionale Wendung“ kam am Ende der Sendung: Santoro und der Karikaturist Vauro stimmten das Lied „La libertà“ des beliebten, inzwischen verstorbenen Sängers Giorgio Gaber an: Die Zuschauer im Saal sangen stehend mit: „Freiheit ist kein Freiraum, Freiheit ist Partizipation“. Sogar der Gast der Sendung und PdL-Frontmann Formigoni, Regionalpräsident der Lombardei, sang verlegen lächelnd den Refrain mit.
Santoro hat die Schiedskommission der RAI angerufen, was auf die verhängte Sanktion aufschiebende Wirkung haben könnte. Vorläufig wird also „Annozero“ wohl weiter gesendet werden. Manche munkeln, dass der Stuhl von Masi heftiger als der von Santoro wackelt. Auch mit dem, heißt es, sei der oberste Chef nicht zufrieden.