Erpresst durch die Mafia?
B. kämpft gegen die Mafia – sagt er. Die lautstarken Studentenproteste der letzten Wochen drängten zwei Ereignisse in den Hintergrund, die darauf ein Licht werfen. Das eine bezog sich auf die Verurteilung von B.s Freund Dell’Utri zu 7 Jahren Gefängnis wegen Beihilfe für die Mafia. Das Urteil fällte das palermitanische Berufungsgericht schon im Juni, aber jetzt kam die schriftliche Urteilsbegründung. Sie erläutert, dass Dell’Utri seit dem Beginn der 70er Jahre zwei Jahrzehnte lang zwischen Berlusconi und der Cosa Nostra „vermittelte“, und zwar „die systematische Zahlung beträchtlicher Summen“, als Gegenleistung dafür, „dass die Cosa Nostra den persönlichen und familiären Schutz von Berlusconi übernahm“.
Der nunmehr gerichtsfeste Sachverhalt lässt sich von verschiedenen Seiten betrachten. Eine Sichtweise wäre: Da sieht man wieder, wie der arme B. von der Mafia erpresst wurde. B. macht bekanntlich gern das Opfer. Die andere Sichtweise wäre: B. ließ sich von der Cosa Nostra beschützen und holte sie dafür ins Haus. Auch hier „vermittelte“ Dell’Utri: Auf seine Empfehlung stellte B. sogar den Cosa Nostra-Mann Vittorio Mangano für ein paar Jahre als „Stallknecht“ ein. Während B.s Imperium in den 70er und 80er Jahren aufblühte, stand es unter dem Schutz der Cosa Nostra. Wofür er sie zwanzig Jahre lang gut bezahlte (anfangs 50 Mio. Lire jährlich, später dürften es mehr geworden sein). In der Villa und in den Büroräumen von B. gingen damals hohe Mafia-Bosse ein und aus. So ist z. B. erwiesen, dass sich 1975 in seinen Büro-Räumen die Bosse Gaetano Cinà, Girolamo Teresi und Stefano Bontate trafen (der zum damaligen ‚Triumvirat’ der Cosa Nostra gehörte).
Alles Vergangenheit? Die Freundschaft B.s zum „Vermittler“ Dell’Utri hält bis heute.
In die Gegenwart führt auch das zweite Ereignis. Vor wenigen Tagen drohte Mara Carfagna, B.s Gleichstellungsministerin, urplötzlich ihren Rücktritt an. Sie ist eine von B.s treuesten Weggefährtinnen, aber mit einem Defekt: Obwohl sie aus Kampanien kommt, will sie mit der dortigen Camorra nichts zu tun haben. Deshalb unterstützte sie auch in diesem Frühjahr Stefano Caldoro, der bei den Regionalwahlen Kandidat der PdL für das kampanische Präsidentenamt werden wollte, während B. unbedingt den Camorra-Mann Cosentino auf diesen Posten hieven wollte. (Um Caldoro zu demontieren, „enthüllte“ damals ein Unterstützerkreis von B., Caldoro verkehre mit „Transsexuellen“). Cosentino (Spitzname: „Nick o’americano“) ist die Schlüsselfigur in den von der Camorra kontrollierten Müllgeschäften und (wie Dell’Utri) ein enger Freund von B. Als jetzt der Ministerrat ein Dekret beschloss, in dem es um die kampanische Abfallentsorgung geht, machte sich Mara Carfagna für eine Bedingung stark: Die Zuständigkeit für die Umsetzung sollte nur der (inzwischen gewählte und Camorra-kritische) Regionalpräsident Caldoro erhalten, aber nicht die mit Cosentino und der Camorra verbandelten Provinzpräsidenten von Neapel und Salerno, die dabei eigentlich mitzureden hätten. Woraufhin Cosentino prompt bei B. vorstellig wurde, um ihm diese „Diskriminierung“ auszureden. B. solle bitte bedenken: Er und seine Gefolgsleute könnten ja bei der am 14. Dezember anstehenden Vertrauensabstimmung auch gegen B. stimmen. B. weiß: Sie könnten ihn bei Neuwahlen mit ihren Stimmpaketen „im Stich“ lassen. Und auch auf die Müllberge, die sich wieder in den Straßen Neapels türmen, ist Cosentino (sprich die Camorra) nicht ohne Einfluss, sie brachten auch schon die Prodi-Regierung zu Fall. B. sagte sofort zu, die genannte Bedingung wieder aus dem Dekret zu streichen. Was nun Mara Carfagna mit der erwähnten Rücktrittsandrohung auf den Plan rief, in diesem Fall, wie es scheint, sogar mit Erfolg.
Das ist die Gegenwart. Auch hier könnte man sagen, dass B. fast wieder das „Opfer“ einer Erpressung durch die Mafia geworden wäre. Was für den italienischen Ministerpräsidenten schon schlimm genug wäre. Aber bekanntlich gehört zur Erpressung auch der, der sich erpressen lässt. Sollte man nicht besser von „geschäftlicher Partnerschaft“ sprechen, die offenbar schon lange währt?