Untergang des Demiurgen


Vorbemerkung der Redaktion

Der Artikel „Il tramonto del demiurgo“ von Guido Crainz wurde am 12. 11. 2010 in der „Repubblica“ veröffentlicht. Hier die (leicht gekürzte) Übersetzung.


Das Bewusstsein wächst, dass wir es nicht nur mit dem Niedergang eines Leaders oder einer Politik zu tun haben, sondern dass damit auch eine historische Phase unseres Landes zuende geht, die schon begann, bevor Silvio Berlusconi überhaupt die Bühne betrat…

Als im Mai 1978 Aldo Moro zu Grabe getragen wurde, überwogen noch die positiven Aspekte des „Parteiensystems“. Und überdeckten die Verwerfungen, die sich schon in den 60er und 70er Jahren herausgebildet hatten. Aber unter dem Druck der bleiernen Jahre und der deutlicher werdenden Korruption und Degeneration der Institutionen näherte sich diese Phase ihrem Ende… Bettino Craxi war der Akteur, der im Einklang mit den neuen Impulsen, die es im Lande gab, am entschiedensten die Transformation des Parteiensystems vollzog. Wir würden weder den „Craxismus“ noch dessen Einfluss auf die späteren Ereignisse verstehen, wenn wir die Veränderung gesellschaftlicher Verhaltensweisen außer Acht lassen, die sich in den 80er Jahren abzeichnete. Diese Jahre erscheinen uns heute nicht, wie oft behauptet, als Ausdruck der Modernisierung, sondern von deren schlimmster Kehrseite auf dem Gebiet der Ethik und des zivilen Zusammenlebens. Ein Modell des „Italienisch-Seins“ setzte sich durch, gegenüber dem alternative Verhaltensmodelle immer mehr verblassten… In der Gesellschaft insgesamt erodierte die Idee eines „Gemeinwohls“, was der stürmische Aufstieg der Lega ebenso belegt wie der Sumpf, den die „Mani pulite“ aufdeckten.

Zu Beginn der 80er Jahre wurde die Reflexion über die Tragödie des Landes und die Trümmer des politischen Systems schnell zu den Akten gelegt. Neue Mythen und Illusionen entstanden, wie die Erwartung, aus den Trümmern werde ein neues „italienisches Wunder“ erblühen. Die Dämonisierung der „Ersten Republik“ machte es möglich, die Verantwortung für das Desaster auf das Parteiensystem abzuwälzen, während der Aufstieg Silvio Berlusconis jene Modelle des sozialen Egoismus, des Sich-Auslebens und der Regelverachtung zu bestätigen schien, die sich in den 80er Jahren etabliert hatten. Der Teil Italiens, der sich in B. wieder erkannte, hatte also bereits starke Wurzeln, die in diesen Jahren noch größer und stärker wurden. Trotz der Grenzen von B. und seiner nicht gerade herausragenden Qualitäten, und trotz der Schwankungen, denen auch sein Charisma immer wieder unterlag.
Die lange Dauer dieser Hegemonie ist nicht nur mit der (enormen) Schwäche der Opposition zu erklären. Also mit der Unfähigkeit von Mitte-Links, dem Populismus ohne Regeln Beispiele der „guten Regierung“ entgegenzustellen. Gerade jetzt, wo die Krise des „Berlusconismus“ irreversibel scheint, darf nicht vergessen werden, dass Berlusconi einem großen Teil der Italiener wie der Demiurg einer neuen Ära erschien. Indem er ihren Beginn verkündete, entfachte er erneut jenen (unverantwortlichen) Optimismus, in dessen Schatten schon in den 80er Jahren wesentliche Stützpfeiler des gesellschaftlichen Lebens und der Legalität erodiert waren. Sicherlich eine neuerliche Illusion (…), die aber von beträchtlichen Teilen der Gesellschaft geteilt wurde, die heute ihre Erwartungen enttäuscht sehen. Die damit verbundene Entzauberung kann schnell in Groll und ein noch entschiedeneres Sich-Verschließen in persönliche und schichtspezifische Egoismen umschlagen.

Einen etwas anderen, aber kaum weniger tiefgreifenden „Zusammenbruch der Erwartungen“ gibt es auch auf jener Seite Italiens, die lange versuchte, dem „Zeitgeist“ zu widerstehen. Die auf eine andere Zukunft hoffte und sich dafür auch mehrfach… engagierte. Und immer wieder enttäuscht die Hoffnung begraben musste, dass Mitte-Links diesen Druck aufnehmen und eine glaubhafte Alternative entwickeln könne. Es ist leider kein Paradox, dass dem Niedergang der bisherigen Mehrheit kein wachsender Konsens mit der Opposition entspricht, und dass auch heute noch politische Formeln und Hypothesen weiterleben, die schon in der Zeit des Berlusconismus Konjunktur hatten.

Um aus dem heutigen Sumpf herauszukommen und die dafür nötigen positiven Energien freizusetzen, ist zweifellos ein breites Bündnis nötig, das sich auf einige wesentliche Ziele einigt (Wiederbelebung von Regeln, ausgeglichene Entwicklung, mit den Prioritäten Ausbildung und Arbeit)… Um die jahrelange Regression der Politik einzudämmen, ist großer Mut, Weitsicht und Bereitschaft zum Bruch vonnöten. Beginnend mit der Anerkenntnis, dass es einer glaubwürdigen Führung bedarf – eines Kandidaten für den Ministerpräsidenten und einer von ihm ausgewählten Führungsmannschaft, wie es die Verfassung verlangt -, die ein gemeinsames Programm vertritt, aber weitgehend unabhängig von den Vetos und Bedingungen der beteiligten Parteien. Das wäre ein Befreiungsschlag, von dem heute kaum jemand zu träumen wagt, aber ohne den es kaum möglich sein wird, den herannahenden Wahlkampf zu gewinnen. Ohne den es vor allem schwer sein wird, die Wählerschaft wirklich zu überzeugen. Und dem Land wieder das Vertrauen, die Motivation und Hoffnung zu geben, die nötig sind, um einen langen Irrweg zu verlassen. Um den Weg wiederzufinden.