Der sanfte Staatsstreich (2)
Die „Justizreform“
Die nächste Stufe des Regimewechsels steckt in der geplanten „Justizreform“. Bisher sah die italienische Verfassung eine von der Politik weitgehend unabhängige, sich selbst verwaltende und allein dem Gesetz verpflichtete Jurisdiktion vor, die allen Gesetzesverstößen nachgehen muss. Dass das italienische Rechtswesen veraltet (z.B. im Hinblick auf die lokale Aufteilung der Gerichtsbezirke) und personell unterbesetzt (Langsamkeit) ist, bildet den Vorwand für einen „Reformplan“, dessen eigentliches Ziel es ist, B. nicht nur von jeder gerichtlichen Verfolgung zu befreien, sondern die Justiz ein für allemal an die politische Leine zu legen.
Da B. seinen persönlichen Hauptfeind in den Staatsanwaltschaften sieht, fordert er als zunächst ein absolutes Novum: eine parlamentarische Untersuchungskommission gegen die Justiz. Es wäre die Verwirklichung jedes Despotentraums: Nicht die Richter sitzen über ihn, sondern er über sie zu Gericht. Kaum weniger aufschlussreich sind auch die anderen Maßnahmen, die er unter dem Namen „Justizreform“ plant und mit denen er der italienischen Justiz endgültig das Rückgrat brechen will:
- Die Kriminalpolizei als ermittelndes Organ wird den Staatsanwaltschaften entzogen und dem Innenministerium unterstellt. (Schon damit wären der Justiz die Zähne gezogen, denn ein Staatsanwalt kann nur aktiv werden, wo er auch ermitteln durfte).
- Das Abhören von Telefonaten, ein besonders in Korruptionsfällen und gegenüber der Mafia bewährtes Ermittlungsinstrument, wird „zum Schutz der Privatsphäre“ eingeschränkt (B.: „Man kann in diesem Land nicht mehr telefonieren!“).
- Für die Ermittlungstätigkeit werden politische „Prioritäten“ eingeführt, die für die Tätigkeit der Staatsanwaltschaften und ermittelnden Kriminalpolizei verbindlich sind. (Beispiel: Einwanderungsdelikte haben „Priorität“ vor Korruptionsdelikten.)
- Die Staatsanwaltschaften werden von der Verpflichtung „befreit“, jedem Rechtverstoß nachzugehen, wie es die Verfassung vorschreibt. So wird es ihnen „erleichtert“, sich den genannten Prioritäten unterzuordnen.
- Die Karrieren von Richtern und Staatsanwälten werden getrennt. Das bisherige Organ (CSM), das über Beförderungen, Versetzungen und Disziplinarmaßnahen der Richter und Staatsanwälte entschied und überwiegend von der Profession gewählt wurde, wird zweigeteilt und mehrheitlich mit von Parlament und Senat benannten Mitgliedern besetzt. Aus einem Selbstverwaltungsorgan der Justiz werden zwei politische Kontrollorgane über die Justiz.
- Die Richter und Staatsanwälte werden zukünftig dem „Prinzip der Verantwortung“ unterworfen, d.h. können für ihre Tätigkeit zivilgerichtlich belangt werden.
- Das Verfassungsgericht darf Gesetze nur mit Zweidrittelmehrheit annullieren (der „Lodo Alfano“, der B.s Immunität sichern sollte, wäre unter dieser Voraussetzung vor einem Jahr nicht annulliert worden. Es wurde damals „nur“ mit 9 zu 6 Richterstimmen für verfassungswidrig erklärt).
Das ist der Plan. Aber noch muss er durchgesetzt werden. An vielen Orten regt sich Widerstand: beim Staatspräsidenten, bei den „Legalisten“ in der Opposition und in der Gruppe um Fini, bei Juristen und Verfassungsrechtlern. Und nicht zuletzt auch bei vielen jungen Leuten, die in den letzten Jahren entdeckt haben, dass es einen Kern der Verfassung gibt, der schützenswert ist. Und die begriffen haben, was Italien von ihm und seinen Plänen zu erwarten hat: eine auf seine Person zugeschnittene „charismatische Despotie“, in der die demokratischen Gegengewichte auf Bonsai-Größe zurückgestutzt sind.
Wenig Widerstand zeigt sich hingegen in den europäischen Nachbarländern. Am wenigsten in der CDU/CSU, die mit der Berlusconi-Partei im Europaparlament eine Fraktion bildet. Offenbar findet sie nichts dabei.