Der sanfte Staatsstreich (1)
Der „Lodo Alfano 2“
Wer glaubt, B. bereite einen Regimewechsel nur vor, der täuscht sich. Er ist längst im Gange, die ersten Schritte sind getan. Den Anfang machte die „Anomalie“, dass B. überhaupt in die Politik gehen und Regierungschef werden konnte, ohne sein Medienmonopol aufzugeben. Dann die Gründung einer Partei, die keine Partei mehr sein will und ihren Leader über das Parteiengezänk hebt. Und schließlich das Wahlgesetz („La Porcata“) als Zeitbombe gegen die Verfassung und Vorwegnahme eines anderen Regimes. Schon der vorjährige Versuch, B. jeder Strafverfolgung zu entziehen („Lodo Alfano 1“), berief sich auf dieses Wahlgesetz. Da es die Wahl als Duell der Protagonisten inszeniert und somit „das Bündnis der Parteien an ein Subjekt bindet, die sich ausdrücklich für das Amt des Ministerpräsidenten bewirbt“ (so B.s Advokaten vor dem Verfassungsgericht), sei diese Person herausgehoben. Sei das siegreiche Bündnis unter dem Namen „Berlusconi“ angetreten, so repräsentiere er nicht nur die Partei und das Wahlbündnis, bei denen die Wähler die meisten Kreuze machten. Sondern sei auch selbst, und zwar direkt vom Volk, zum Leader gesalbt worden, seine Inthronisierung als Primus super partes also unmittelbarer Volkswille.
Dies könnte bedeutsam werden, wenn sich die Krise der amtierenden Regierung weiter verschärft und B. noch vor Ablauf der Legislaturperiode (2013) auf Neuwahlen setzt (die er zu gewinnen hofft, vorausgesetzt, es bleibt beim geltenden Wahlgesetz). Laut Verfassung kann der Staatspräsident im Krisenfall auch andere Politiker mit dem Versuch einer Regierungsbildung beauftragen, bevor er Neuwahlen ansetzt. Eine gar nicht so unrealistische Option, weil es genau das ist, was gegenwärtig zwischen der Opposition und der Fini-Gruppe diskutiert wird, und zwar mit dem vorrangigen Ziel, das Wahlgesetz außer Kraft zu setzen. Wogegen B.s Gefolgsleute nun gerade den „Geist“ eben dieses Wahlgesetzes anrufen: Der Staatspräsident dürfe einen solchen Auftrag nicht erteilen, weil sonst der Wählerwille, der sich auf den einen Leader fokussiert habe, „verraten“ würde.
Bei alledem geht es natürlich immer auch um B.s Probleme mit der Justiz. Nachdem der erste Versuch, ihn vor einem Jahr durch einfaches Gesetz juristisch unantastbar zu machen, am Verfassungsgericht scheiterte, kommt mit dem sog. „Lodo Alfano 2“ ein neuer Anlauf. Und zwar in einer Variante, welche die Sonderstellung von B. noch stärker heraushebt als das Gesetz von 2009, das auch den Ministern Immunität geben wollte. Jetzt geht es nur noch um ihn und den Staatspräsidenten, mit dem B. dadurch im Rang „gleichziehen“, ihn aber auch zu sich „runterziehen“ würde. Laut Art. 90 der Verfassung konnte bisher nur der Staatspräsident rechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden, es sei denn, das Parlament beschließt gegen ihn mit absoluter Mehrheit ein Verfahren wegen Hochverrats oder Anschlags auf die Verfassung. Im Hinblick auf B. verfolgt der Gesetzesentwurf die Absicht, ihn für die Dauer seiner Amtszeit von jeder Strafverfolgung freizustellen. Um dies „demokratischer“ erscheinen zu lassen, wird es an die Bedingung eines jeweiligen Parlamentsbeschlusses geknüpft (in der Erwartung, dass es dafür im Fall von B. immer die nötige Mehrheit geben werde). Da diese Regelung nun aber auch für den Staatspräsidenten gelten soll, würde dessen Immunität, die ihm bisher „automatisch“ zukam, plötzlich fallweise vom Parlament entschieden. Die Bestürzung im Regierungslager war groß, als der Staatspräsident schon gegen diesen ihn herabstufenden Aspekt des neuen „Lodo“ Protest einlegte. Als Konsequenz wird die Berlusconi-Mehrheit versuchen, die Immunität des Premiers ebenfalls als „Automatismus“ durchzusetzen, und zwar mit beliebiger Wiederholbarkeit.
Den Premier juristisch unangreifbar zu machen, ist ein Programmpunkt des Regimewechsels, den B. durchsetzen will. Ein weiterer Programmpunkt betrifft die Justiz, die er als seinen ärgsten Gegner betrachtet. Auf deren „Reform“ geht ein späterer Beitrag ein.