Reform oder Rückschritt?


Vorbemerkung der Redaktion

Der folgende Beitrag wurde geschrieben, bevor die Regierung Berlusconi ihr Gesetz zur Universitäts-„Reform“ im Parlament zur Abstimmung gestellt hatte. Am Dienstag, den 30. 11., hat es die parlamentarische Hürde passiert, die Abstimmung im Senat steht noch aus. Auch Finis FLI stimmte dafür. Die Proteste der Studenten waren so heftig, dass sich zum Beispiel Rom an diesem Tag in eine militärische Festung verwandelte.


Das „Gelmini-Gesetz“ zur Universität

An Katastrophen jeder Art ist man in Italien gewöhnt, seien es künstliche oder von der Natur erzeugte. In diesen Tagen bebt einmal wieder die Erde, wenn auch im übertragenen Sinne. Aufgrund der unmittelbar bevorstehenden Verabschiedung des neuen Universitäts-Gesetzes befinden sich die Studenten im ganzen Land in Aufregung (und teilweise auch auf den Dächern von öffentlichen Gebäuden). Relativ neu ist der Umstand, dass sie dabei aktiv von einer zahlreichen Gruppe von Dozenten unterstützt werden (vor allem von „Ricercatori“, der – negativ – am stärksten betroffenen Gruppe von Universitätslehrern).
Zum besseren Verständnis eine kurze Aufstellung der vorgesehenen Veränderungen, die im Zentrum der Kritik stehen:

  • Die öffentliche Universität würde nicht mehr als „zentrale Stätte der Forschung“ ausgewiesen;
  • alle wichtigen Entscheidungen lägen zukünftig allein in den Händen des Rektors sowie des Aufsichtsrats (in den auch Vertreter der Industrie entsandt werden können) und würden so der demokratischen Kontrolle aller an der Universität Beschäftigten entzogen;
  • anstatt die oft anzutreffende Vetternwirtschaft zu bekämpfen, können sich dadurch undurchsichtige Praktiken bei der Besetzung von Posten und Mittelvergabe verstärken;
  • die prekären Beschäftigungsverhältnisse, die schon heute an der italienischen Universität stark vertreten sind, würden durch Abschaffung der Festanstellung der „Ricercatori“ (eine der drei Hochschullehrer-Figuren an italienischen Universitäten) weiter verstärkt;
  • es gäbe keinerlei Hinweis auf die zukünftigen Karrieremöglichkeiten der heute an der Universität tätigen, festangestellten „Ricercatori“;
  • Gehaltsverbesserung würden in Zukunft „von oben“ bestimmt (und nicht mehr, wie bisher, nach Dienstalter berechnet), womit der einzelne Dozent vom Wohlwollen übergeordneter ministerieller Stellen abhängt;
  • keinerlei Hinweis auf die (noch existierenden) sog. „Forschungsdoktorate“ (vergleichbar mit der deutschen Doktorarbeit) als Vorbereitung auf eine zukünftige Tätigkeit als Forscher;
  • mit der Einführung eines „Generaldirektors“ bestünde die Gefahr, dass die Rolle des Universitätsrektors marginalisiert wird;
  • drastische finanzielle Kürzungen, z. B. bei den wichtigen Stipendien für bedürftige Studenten, würden das Recht auf ein Studium nachdrücklich beschneiden.

Hinzugefügt sei noch, dass aufgrund finanzieller Sparmaßnahmen bereits heute gilt:

  • ein fast totaler Einstellungsstopp – was u.a. bedeutet, dass die zukünftigen „Ricercatori“, deren dreijährige Arbeitsverträge einmalig um weitere drei Jahre verlängert werden können, keine Chance haben, danach als Professoren fest angestellt zu werden (es gibt keinen Plan für die zukünftige Stellenorganisation);
  • Ab 1.1.2011 werden alle Verträge für drei Jahre eingefroren, inkl. Stopp der automatischen Überführung in eine höhere Gehaltsklasse;
  • aufgrund Dozentenmangels werden Studiengänge geschlossen;
  • aus Rationalisierungsgründen entstehen Mega-Fakultäten.
PS: An meiner Fakultät werden in den nächsten 4 -5 Jahren von ca. 500 Professoren etwa 150 in Pension gehen. Von einer Wiederbesetzung der Stellen ist keine Rede, und ebenso wenig existiert ein irgendwie gearteter Organisationsplan.
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