Das Offshore-Imperium
Immer wieder sieht sich B. mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und des Steuerbetrugs konfrontiert (wir berichteten). Über seine Rechtsanwälte lässt er dann regelmäßig verkünden: alles erfunden, alles linke Verschwörung. Kürzlich setzte er als Beleg für seine Unschuld hinzu, zur Zeit der ihm vorgeworfenen Steuerdelikte sei er doch Ministerpräsident gewesen, also könnten ihn die Vorwürfe gar nicht betreffen. Als ob das ein Gegenargument wäre, denn es setzt voraus, dass er in solchen Zeiten seine privaten Interessen vergisst. Aber genau das behauptete er: Er habe sich um besagte Geschäfte gar nicht kümmern können, sondern sie seinen lieben Kindern Marina und Piersilvio überlassen. Haha. Marina und Piersilvio hätten also ohne Wissen und Zutun ihres Papas die Geschäfte seines Fininvest-Imperiums geführt. Wer es glaubt, wird selig. Oder – ins Irdische übersetzt – kriegt einen Posten von B.s Gnaden.
Bei den ihm vorgeworfenen Straftaten handelt es sich nicht um Einzelfälle. Es lohnt sich, einmal näher zu betrachten, wie das System Fininvest funktioniert. Eine aufschlussreiche Übersicht hat in der Tageszeitung „La Repubblica“ der Rechtsjournalist Giuseppe D‘ Avanzo geliefert. Er bezog sich dabei auf eine Untersuchung der Accounting-Gesellschaft KPMG, die weltweit Bilanzen und Finanztransaktionen von Unternehmen prüft und zertifiziert. Im Januar 2001 legte KPMG einen 800seitigen Bericht über die Bilanzen von B.s Fininvest für die Zeit 1989-1996 vor. Was dort herauskam, ist nicht von schlechten Eltern.
Laut KPMG funkioniert die Sache so: Die Fininvest ist in zwei Gesellschaftszweige aufgeteilt, die „offizielle“ Gruppe A und die „vertrauliche“ („very discret“) Gruppe B. Letztere dient dazu, einen Teil des Gesellschaftsvermögens von Fininvest außerhalb der offiziellen Bilanzen zu verwalten. Dies bestätigte auch der englische Rechtsanwalt David Mills, der verurteilt wurde, weil er sich von B. zwecks Falschaussage vor Gericht bestechen ließ. Obwohl sie von Fininvest kontrolliert werden, erscheinen also die in der „Gruppe B“ zusammengefassten Gesellschaften als unabhängig operierende. Zur „Gruppe B“ gehören laut Bericht sage und schreibe 64 Offshore-Gesellschaften auf drei Ebenen. Zur „ersten Ebene“ gehören 29 Gesellschaften, davon 21 auf den englischen Jungferninseln (passt prima zu den Vorlieben des Chefs!), fünf in Jersey, zwei auf den Bahamas und eine in Guernsey (habe nachgeschaut: eine englische Kanalinsel, wie Jersey). Weitere 13 Gesellschaften gehören zur „zweiten Ebene“, die durch die sog. „erste Ebene“ kontrolliert werden. Das gilt auch für die „dritte Ebene“, in der weitere 22 Offshore-Gesellschaften zusammengefasst sind. Laut KPMG sind alle Gesellschaften der „Gruppe B“ de facto Aufsichtsräten, Managern, Beratern oder anderen Angehörigen von Fininvest unterstellt (als „beneficial owners“). Sie tätigen große Finanztransaktionen im Auftrag und im Interesse der Fininvest, die in der Fininvest-Bilanz nicht erscheinen. Allein in dem untersuchten Zeitraum 1989-1996 sollen mit diesem System fast 885 Milliarden Lire (ca. 440 Mio. Euro) aus den offiziellen Fininvest-Bilanzen – und somit am Fiskus vorbei – in die „Gruppe B“ verschoben worden sein.
Der Mann, der an der Spitze dieses so transparenten Fininvest-Imperiums steht, ist zugleich Ministerpräsident Italiens und in dieser Funktion eigentlich zuständig dafür, dass die Unternehmen des Landes – sein eigenes eingeschlossen – ihre Steuern dem Fiskus zuführen, wie es das Gesetz verlangt. Mit den anderen Regierungschefs der EU verhandelt er ungeniert darüber, wie auf europäischer Ebene Steuersünder möglichst effektiv zu sanktionieren sind. Angesichts des Charakters von B. ist diese Ungeniertheit nicht verwunderlich. Dass aber auch die übrigen Regierungschefs – unsere strenge Frau Merkel inklusive – nichts daran finden, könnte einem die Sprache verschlagen. Sollte es aber nicht. Das Schweigen der in Europa Regierenden zu B. hat nichts mit inneren italienischen Angelegenheiten zu tun, es ist vielmehr ein europäischer Skandal.