Mutige Magyaren
Mutig erhoben sich die Ungarn am 23. Oktober 1956 gegen die Sowjetunion, kämpften für Freiheit und Demokratie. Der Aufstand gelang, weil sich auch die ungarische Armee mit den Bürgern auf den Barrikaden verbündete. Zunächst, denn am 4. November 1956 marschierte die Rote Armee massiv ein. Die Nato schaute zu. Sie fürchtete, in einen bewaffneten Konflikt mit dem Warschauer Pakt hineingezogen zu werden. Den Freiheitswillen der Ungarn aber konnten die Kalaschnikows auf Dauer nicht in Schach halten. Ungarn war das erste sozialistische Land, das im Juni 1989 den Stacheldraht an seinen Grenzen zu Österreich zerschnitt und damit den Eisernen Vorhang. Tausende DDR-Bürger nutzten dies und flohen in den Westen, in die Freiheit.
In den ersten Tagen des neuen Jahres blickt die Welt wieder auf Ungarn. Diesmal zeigen die Magyaren erneut Mut. Zwei Journalisten des Staatsfunks legten eine Schweigeminute ein und wurden prompt suspendiert. Das Morgenmagazin des ungarischen Fernsehens unterbrach seine Sendung, weil ein Gast protestierte. Tílós Rádio musste eine Sendung zurückziehen. „In Ungarn wurde die Pressefreiheit aufgehoben“ titelte „Nepszabadsag“, die größte Tageszeitung des Landes. Die Berliner „taz“ übernahm diese Titelseite. Budapest hat am 1. Januar 2011 die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernommen und zugleich ein neues Mediengesetz durch die Unterschrift von Staatspräsident Pal Schmitt in Kraft gesetzt.
Dieses Gesetz erlaubt es der von Viktor Orbàn geführten, auf zwei Drittel der Parlamentssitze gestützten Regierung, Rundfunk, Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften mit sehr hohen Geldbußen zu belegen, wenn ihre politischen Berichte nicht „ausgewogen“ seien. Und Journalisten können gezwungen werden, ihre Quellen offen zu legen. Damit ist jedwede kritische Presse unmöglich. Ob Artikel unausgewogen sind, entscheidet ein ausschließlich von Regierungstreuen besetzter neuer Medienrat. Immerhin hat die zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes in einem Brief an Budapest Zweifel an der Rechtmäßigkeit des neuen Mediengesetzes geäußert. Aber genügt das? Europaweit zweifeln heute führende Zeitungen daran. Sie fürchten das Beispiel Ungarn: die Möglichkeit, demokratische Prinzipien außer Kraft zu setzten und dennoch zur EU zu gehören. Italiens Medienzar und Ministerpräsident Silvio Berlusconi könnte ermutigt werden, ebenfalls mehr Einschränkungen gefahrlos zu riskieren.
Ohnedies liegt Italien nach dem am 20. Oktober 2010 veröffentlichten Index der Reporter ohne Grenzen weltweit bereits auf Rang 49, wenn es um Pressefreiheit geht. Ungarn schaffte da noch Rang 23 gleichauf mit der Tschechischen Republik, ebenfalls EU-Mitglied. Nur 13 der 27 EU-Staaten sind unter den Top 20 zu finden, vor allem die skandinavischen und die Niederlande. Dies signalisiere, dass Europa seine führende Rolle einbüsse, wenn es um die Menschenrechte geht, sagte Jean-Francois Julliard, Generalsekretär der Reporter ohne Grenzen: „ein beunruhigender Trend“.
Europa, also die EU, darf deshalb nicht abseits stehen, es wie 1956 die Nato bei Protesten belassen, wenn sich ein Mitgliedsland von den demokratischen Prinzipien und vom Rechtsstaat entfernt. Es ist eine Aufgabe europäischer Politik, dies zu verhindern. Ungarn gehört zur EU wie die Pressefreiheit. Budapest muss zum Austritt gedrängt werden, wenn es die Pressefreiheit unerträglich einschränkt. Und es ist Aufgabe der Union, mutige Magyaren zum Widerstand zu ermutigen. Orbán stehen kritische Journalisten wie Verfassungsrichter im Wege. Die Befugnisse des Verfassungsgerichtes ließ er erst vor wenigen Wochen empfindlich beschneiden. Jetzt folgt der Maulkorb für Journalisten. Bereits vor seiner Wahl versprach er, es werde Schluss gemacht mit dem Parteienhader, damit eine einzige Partei, seine Fidesz-Partei „langfristig stabil regieren und den authentischen Volkswillen zur Geltung bringen“ könne, schreibt der Politologe Jan-Werner Müller in der „Zeit“. Klingt so, wie die Reden Hitlers, als er gegen die Weimarer Republik kämpfte.