„Legitime Verhinderung“ teilweise verfassungswidrig
Am 14.1. hat das italienische Verfassungsgericht das Gesetz der „Legitimen Verhinderung“ für teilweise verfassungswidrig erklärt. Nach dem sog. „Lodo Alfano“, das B. grundsätzliche Immunität zusprechen sollte und schon vom Verfassungsgericht gestoppt wurde, war es ein erneuter Versuch, sich den gegen ihn noch anhängigen Prozessen zu entziehen. Es besagt, dass der Ministerpräsident Regierungsgeschäfte als Verhinderungsgrund anführen darf, wenn er vor Gericht geladen wird, und dass daraufhin das Verfahren für die Dauer von sechs Monaten automatisch auszusetzen ist. Welche Regierungsaktivitäten als „legitime Verhinderung“ gelten, sollte der Ministerpräsident allein entscheiden können.
Das ging den Verfassungsrichtern dann doch zu weit. In ihrem mit großer Mehrheit gefällten Urteil (12 Stimmen dafür, 3 dagegen) haben sie zwar im Grundsatz gebilligt, dass es eine „Legitime Verhinderung“ geben kann, aber wichtige Teile des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt: Der angeklagte Ministerpräsident dürfe nicht selbst darüber befinden, welche seiner Verpflichtungen als „legitime Verhinderung“ gelten. Diese Kompetenz und die zugehörige Abwägung liege vielmehr bei den Richtern, die im Einzelfall entscheiden. Auch die verpflichtende Aussetzung des Verfahrens infolge „legitimer Verhinderung“ verwarf das Gericht, da mit Art. 3 der italienischen Verfassung (Gleichheit vor dem Gesetz) unvereinbar. Auch hier müssten die zuständigen Richter zwischen den Rechten der Verteidigung und den Erfordernissen der strafverfolgenden Justiz jeweils abwägen.
Das Urteil, von manchen Kommentatoren als „salomonisch“ bewertet, hat grundsätzliche Bedeutung: Es bekräftigt eine der tragenden Säulen jeder demokratischen Staatsverfassung, die Gewaltenteilung. Aber eine Justiz, die sich weder der Exekutive noch der Legislative unterordnet und in ihrem eigenen Kompetenzbereich unabhängig entscheidet, ist genau das, was B. und seine Regierung zu demontieren vesuchen.
Entsprechend waren die Reaktionen aus dem Regierungslager. Kulturminister Sandro Bondi erklärte, die Entscheidung stelle „die demokratische Ordnung auf den Kopf „, denn schließlich sei die Regierung demokratisch gewählt und ergo berechtigt, ohne Einmischung der Justiz zu entscheiden, ob bzw. wann sie vor Gericht erscheint. Das ist konsequenter Populismus: Das Gesetz soll der politischen Macht untertan sein.
Der Chef selbst, schlauer als sein übereifriger Diener Bondi, äußerte sich differenzierter. Im Fernsehinterview mit dem (ihm gehörenden) „Canale 5“ erklärte er, das Verfassungsgericht habe immerhin den Kern des Gesetzes – die „legitime Verhinderung“ – bestätigt. Um dann zum Angriff überzugehen: Jeder wisse ja, dass er von „linken Richtern und Staatsanwälten politisch verfolgt“ werde , die Anzahl der gegen ihn angestrengten Prozesse sei „ein absoluter Rekord in der gesamten Menschheitsgeschichte “ (woran das wohl liegt?). Meistens sei er jedoch freigesprochen oder das Verfahren „archiviert“ worden. Was er nicht sagte, ist, dass er mit 19 Gesetzen „ad personam“ persönlich dafür sorgte, dass die ihm angelasteten Straftaten entweder getilgt wurden oder verjährten. Auch in den noch laufenden Prozessen hat er gute Aussichten, dass sie demnächst verjähren.
Die Drohung kam zum Schluss des Interviews. Die noch verbleibenden Prozesse (Mediaset, Mills, Mediatrade) seien allesamt „absurd und lächerlich“. Sollte er aber verurteilt werden, würde er „im Fernsehen und in der Presse auftreten… Doch sie werden es nicht wagen, mich für Taten zu verurteilen, die nicht bestehen.“ Eine beunruhigende Botschaft, im Stil mafioser Bosse.