Der gute Mensch von Predappio
Der aufmerksame Italienbesucher konnte in den letzten Jahren immer häufiger in Andenkenläden Erinnerungen an die Zeit des italienischen Faschismus entdecken: Mussolinibüsten, Mussolinikalender u.ä.m. Dass das keine vereinzelten und zufälligen Phänomene sind, zeigt das Buch des Historikers Aram Mattioli: „Viva Mussolini“ – Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis (Paderborn 2010).
M. geht über die Oberflächenerscheinungen hinaus, er liefert eine umfassende Erklärung und politische Einordnung dieser verstörenden Entwicklung im Italien der „Zweiten Republik„. Die im Untertitel angesprochene „Aufwertung des Faschismus“ wird als Prozess dargestellt und umfangreich belegt, der schon in den 80er Jahren begann. Bis dahin galt die „antifaschistische Meistererzählung“ mehr oder weniger unangefochten: Die Resistenza, die die größte europäische Widerstandsbewegung gegen die deutschen Besatzer (nach 1943) und den italienischen Faschismus (Republik von Salò) war, galt als idealistisch gesinnte Massenbewegung, die in einem zweiten Staatsgründungsakt kulminierte (Verfassung von 1948). Der „Verfassungsbogen“ (arco costituzionale) umfasste Christdemokraten, Republikaner, Liberale, Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten, ausgeschlossen blieb das MSI, die faschistische Nachfolgepartei von G. Almirante. Zur Integrationsleistung der antifaschistischen Erzählung gehörte auch, dass viele Italiener sich als den Siegern zugehörig fühlen konnten, der Faschismus selbst habe die Herzen der Italiener nie erreicht (Togliatti). Der Faschismus als sozial abgestütztes Gesellschaftsexperiment, die faschistische Diktatur von 1922 bis 1943 wurde weitgehend ausgeblendet.
Mit dem politischen Erdbeben von 1994 (Tangentopoli) endete das 5-Parteien-System, in das Vakuum stieß Berlusconi als „homo novus“. Der Rechtspopulist ohne Berührungsängste holte selbst ultrarechte Splittergruppen ins Boot, um an die Macht zu kommen. Seine antikommunistische Grundposition fördert ein schlichtes Geschichtsbild: Der Faschismus in Italien habe zwar Makel gehabt, war aber eine „sanftmütige Diktatur“, die nie jemanden ermordet habe, sie sei nicht mit dem Nationalsozialismus oder dem Sowjetkommunismus vergleichbar. Für Berlusconi hat die Verfassung „sowjetisches Gepräge“ (!); die nationalen Gedenktage, besonders der 25.April (Tag der Befreiung 1945) sollten umgewidmet oder ergänzt werden, um die Erinnerungskultur umzupolen und die Hegemonie des antifaschistischen Lagers zu brechen.
Mit dem Abtreten der Gründergeneration in den 80er Jahren begann ein innenpolitischer Klimawandel, der sich in der „Zweiten Republik“ verstärkt: Bücher und Filme mit revisionistischer Tendenz erscheinen, es beginnt einerseits eine „Vermenschlichung des Faschismus“, die Kolonialkriege werden idealisiert, die Verbrechen unterschlagen. Andererseits soll nun mit dem antifaschistischen Geschichtsbild „abgerechnet“ werden, die Opfer der Resistenza werden (über)betont, die Massaker und Vertreibungen durch die Tito-Partisanen – ohne Einbeziehung der Vorgeschichte – thematisiert. Gewissermaßen als Höhepunkt wird versucht, die Soldaten der Salò-Armee mit den regulären Soldaten gleichzustellen und sie damit auch politisch zu rehabilitieren.
Diese revisionistischen Kampagnen werden von der Rechten mit der Forderung nach „nationaler Versöhnung begleitet. Mattioli resümiert, dass die „Versöhnungsrhetorik“ die Absicht verfolge, „den die Nachkriegspolitik begründenden Antifaschismus zu überwinden und eine neue nationale Meistererzählung zu entwickeln, in der die Verlierer den Siegern auf Augenhöhe begegnen können“.
Anders als etwa in Deutschland, wo Versuche der Relativierung und Verharmlosung des NS-Regimes weitgehend gescheitert sind, ist es im Italien Berlusconis gelungen, der Resistenza und dem Staatsgründungsmythos ein Faschismusnarrativ gegenüber zu stellen, das Gleichwertigkeit suggeriert.
Wenn man von einigen kleineren Mängeln im Aufbau absieht (Lektorat?), kann man diesem Buch nur viele Leser wünschen, die den „Sonderweg“ verstehen wollen, den das Italien Berlusconis beschreitet. Es fügt, für mich jedenfalls, dem düsteren Bild des Ministerpräsidenten eine weitere erschreckende und in Deutschland wenig bekannte Facette hinzu.