Beschleunigtes Verfahren gegen B.
Die Mailänder Staatsanwaltschaft hat beantragt, gegen Berlusconi ein beschleunigtes Verfahren wegen Amtsmissbrauchs und der Begünstigung der Prostitution Minderjähriger zu eröffnen. Womit ein guter Teil des juristischen Vorspiels entfiele, das den Anwälten B.s die Möglichkeit zu tausend Winkelzügen gegeben hätte. Dies ist im italienischen Rechtswesen möglich, wenn die Beweislage klar ist. Eine Untersuchungsrichterin muss nun entscheiden, ob sie dieser Argumentation der Staatsanwaltschaft folgt.
Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft enthält drei Entscheidungen.
- Erstens hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen B. aus einem größeren Kontext herausgelöst. Sie hätte auch eine Sammelklage gegen alle diejenigen erheben können, welche die Prostitution in B.s Privatvilla begünstigen – also nicht nur B., sondern auch eine ehemalige Geliebte von ihm, die ihm heute seine Gespielinnen zuführt, und andere Höflinge, die bei der Sichtung, Auswahl oder Bezahlung der Mädchen eine Rolle spielen. Dies hätte jedoch das Verfahren kompliziert.
- Zweitens gibt es aus Sicht der Staatsanwälte einen Zusammenhang mit jener Mainacht 2010, als B. Ruby aus einer Mailänder Polizeidienststelle freipresste. Warum lag B. soviel an diesem Mädchen, dass er nachts wiederholt in der Dienststelle anrief und sogar die Geschichte mit „Mubaraks Nichte“ erfand? Inzwischen scheint der Grund klar: B. wollte verhindern, dass Ruby polizeilich verhört würde, was B.s Verstrickung in die Prostitutionsaffäre mit Minderjährigen ans Tageslicht gebracht hätte. Der ihm jetzt angelastete Amtsmissbrauch sollte die strafrechtlich noch schwerwiegendere Prostitution Minderjähriger vertuschen. Es ist gerade dieser Zusammenhang, den nun die Staatsanwaltschaft zum Gegenstand eines Verfahrens macht.
- Drittens durchkreuzen die Staatsanwälte damit die Verteidigungsstrategie von B.s Advokaten. Sie wollten geltend machen, B. habe im „guten Glauben“ gehandelt, als er gegenüber den Polizisten Ruby zu „Mubaraks Nichte“ erklärte. Seine Intervention sei also im Rahmen seiner politischen Tätigkeit als Ministerpräsident erfolgt, und somit ein Fall für eine Institution, die „Minister-Tribunal“ heißt und nur dem Parlament verantwortlich ist. Welches sicherlich mit einfacher Mehrheit entschieden hätte, dass es hier nichts zu verfolgen gibt. Die Staatsanwälte wollen also beweisen, dass B. in jener Nacht nicht (wie behauptet) „internationale Verwicklungen vermeiden“, sondern seine sexuelle Vorliebe für minderjährige Prostituierte vertuschen wollte.
B. tobt. Die Staatsanwälte wollten den politisch motivierten „Umsturz“. Womit er einmal mehr klarstellt, dass aus seiner Sicht ER, der vom Volk Gewählte, über dem Gesetz steht. Die polizeilichen Abhörpraktiken, die den Prostitutionsskandal in B.s Privatvilla ans Licht brachten, entsprächen den Stasi-Praktiken im „kommunistischen Ostdeutschland“, er werde per Dekret nicht nur ihre Veröffentlichung, sondern auch ihre gerichtliche Verwendung verbieten. Die Richter und Staatsanwälte sollen für ihre Insubordination büßen, d.h. für ihre Untaten – gegen B. – persönlich zur Verantwortung gezogen werden. Andererseits werden erneut die Pläne zum „kurzen Prozess“ aus der Schublade geholt, wobei es ihm vorrangig um die rückwirkende „Übergangsregelung“ geht, die seine eigenen anhängigen Verfahren verjähren ließen. (Aber wehe, die Staatsanwälte versuchen – wie im Fall Ruby -, mit IHM „kurzen Prozess“ zu machen). Seine seit Wochen laufende „Aktion Abgeordnetenkauf“ verschaffte ihm dafür die nötige parlamentarische Mehrheit. Nun will er auch die Straße gegen die Justiz mobilisieren – den Anfang machte am vergangenen Freitag ein Sit-in von PdL-Anhängern vor dem Mailänder Justizpalast. Es sollen ungefähr 150 gewesen sein. Es werden sicherlich noch mehr werden. Seine Medienmaschine läuft gerade erst an.