Justizreform „ad castam“
B.s Kabinett hat am 10.3 2011 einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der einschneidende Änderungen im Justizwesen vorsieht und den bisher geltenden Verfassungsgrundsatz einer gleichgewichtigen Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative aufhebt.
B. feiert den Entwurf als „epochale Reform“. Er erfülle sich damit „einen Traum“, den er seit 1994 hege. Für Verfassungsrechtler, Richter und Staatsanwälte ist es eher ein Alptraum. Der (mehrheitlich konservative) italienische Richterbund ANM schreibt: „Diese Reform bestraft die Justiz und torpediert die Unabhängigkeit der Richter, sie gefährdet die Balance in der Gewaltenteilung und mindert die rechtsstaatlichen Garantien für die Bürger“.
Hier noch einmal die Eckpunkte der geplanten Verfassungsreform:
1.Für die Staatsanwaltschaft entfällt die Pflicht, alle Straftaten zu verfolgen; welche zu verfolgen sind, beschließen Parlament und Justizminister in einer „Prioritätenliste“. Das Handeln der Justiz wird damit dem Willen der Regierungsmehrheit unterworfen. Justizminister Alfano: „Man beginnt bei den beschlossenen Prioritäten. Wenn dann noch Zeit bleibt, kann man den Rest machen.“ Zum Beispiel Korruption und Amtsmissbrauch, die Achillesfersen von B.s Regierung, wird man auf einer solchen „Prioritätenliste“ wohl vergeblich suchen.
2.Die Laufbahnen von Richtern und Staatsanwälten werden getrennt. Die Richterschaft bleibt ein „gegenüber jeder anderen Gewalt autonomes unabhängiges Organ“, während die Staatsanwaltschaft zu einer „Behörde“ wird, deren Status (einschließlich ihrer Unabhängigkeit) erst durch Gesetz geregelt wird. Auch hier wird also eine Hintertür zu politischen Opportunitätserwägungen geöffnet.
3.Die Kriminalpolizei wird künftig nicht mehr der Staatsanwaltschaft, sondern dem Innenministerium unterstellt; damit verlieren die Staatsanwälte ihr entscheidendes Ermittlungsinstrument und sind auf von der Regierung übermittelte Informationen angewiesen.
4.Der Consiglio Superiore della Magistratura/CSM (Oberster Rat der Gerichtsbarkeit), bisher ein selbst verwaltetes Kontrollorgan, soll nicht mehr mehrheitlich aus Richtern, sondern paritätisch aus Richtern und vom Parlament ernannten Mitgliedern bestehen. Er wird zweigeteilt: ein Gremium ist für die Richter zuständig, ein zweites für die Staatsanwälte.
5.Die Staatsanwaltschaft darf bei Freisprüchen in erster Instanz nicht mehr in die Berufung gehen (eine Regelung, die vom Verfassungsgericht bereits einmal gekippt wurde).
6.Richter und Staatsanwälte sollen künftig bei Verfehlungen zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden dürfen, während bisher (wie bei uns) der Staat die Haftung übernimmt.
In der Hoffnung, einer möglichen Ablehnung durch den Staatspräsidenten zuvor zu kommen, wurden aus dem Paket die Regelungen rausgeschnitten, die allzu offensichtlich B.s persönlichem Schutz vor Strafverfolgung dienten. Was bleibt, ist also nicht so sehr ein Gesetz „ad personam“, sondern – so La Repubblica – „ad castam“, d.h. zum Schutz der politisch und wirtschaftlich Mächtigen. Die Justiz wird an den Gängelband der Politik gelegt, ihre Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt und ihre Selbstverwaltung ausgehöhlt. Und das in einem Land, in dem Korruption, Vetternwirtschaft und organisierte Kriminalität auf allen Ebenen der Gesellschaft grassieren. Da können die Mafia und alle korrupten Politiker gemeinsam die Sektkorken knallen lassen.
Bevor es so weit ist, muss das Gesetzespaket allerdings noch einige Hürden passieren. Da abzusehen ist, dass es nicht mit Zweidrittelmehrheit, sondern nur mit absoluter Mehrheit – und das auch nur aufgrund von B.s intensivem „Abgeordnetenshopping“ – verabschiedet wird, muss es noch ein Referendum überstehen.
Die Repubblica-Journalistin Barbara Spinelli wirft die interessante Frage auf, ob die Kopenhagener Kriterien, deren Erfüllung Voraussetzung für den EU-Beitritt ist, nicht auch für Länder gelten müssten, die bereits EU-Mitglieder sind. Sie besagen u. a., dass Voraussetzung für eine Mitgliedschaft in der EU stabile demokratische Institutionen, die Bekämpfung der Korruption und eine unabhängige Justiz sind. Hält B.s Justizreform diesen Kriterien stand? Eine gute Frage an unsere EU-Abgeordneten. Wenn sie es denn für opportun halten, sie zu beantworten …