Das Gericht als Fanversammlung
Im Fall Ruby ist B. wegen Amtsmissbrauchs und Förderung der Prostitution Minderjähriger angeklagt. Seine Antwort ist mehrgleisig. Einerseits bestreitet er die Zuständigkeit eines „normalen“ Gerichts – die liege bei einem „Ministergericht“, das für „Vergehen im Amt“ zuständig sei. Der Pfiff dieses Zuständigkeitsstreits, über den jetzt das Verfassungsgericht entscheiden soll, besteht darin, dass das „Ministergericht“ nur tätig werden kann, wenn es dazu von einer parlamentarischen Mehrheit autorisiert wird. Und da B. diese wieder fest im Griff hat, wäre der Fall schnell begraben. Wenn es aber andererseits doch zu einem Verfahren vor einem normalen Gericht kommen sollte, dann – so droht er – werde er das Gericht zum Tribunal gegen seine Ankläger machen.
Einen Vorgeschmack dafür boten zwei Prozesse, die gegen B. schon lange anhängig sind, aber erst jetzt wieder aufgenommen wurden. In der ersten Verhandlung am 21. März ging es um den sog. Mills-Prozess. In den 90er Jahren war der englische Rechtsanwalt David Mills in illegale Operationen von B.s Fininvest verwickelt, über die er damals vor Gericht schwieg. B. belohnte ihn mit 600 000 €. Das flog auf und brachte Mills einen Prozess wegen passiver Bestechung ein, der durch alle Instanzen ging. Die Tatbestand der Bestechung wurde dabei gerichtsfest – obwohl sie für Mills am Ende verjährt war und er mit einer Geldstrafe von 250 000 € davonkam. Nun geht es um den komplementären Prozess gegen B., den aktiven Bestecher, der ebenfalls kurz vor der Verjährung steht. Um aber in diesem Punkt auf Nummer sicher zu gehen, peitscht B. gerade das Gesetz zum „kurzen Prozess“, das ihm sofortige Verjährung garantiert, durch beide Kammern.
Zur Verhandlung am 21. März kam es doch noch, und dafür hatte sich der – selbst nicht anwesende – B. eine Innovation ausgedacht. In dem kleinen Verhandlungssaal erschienen etwa 40 Zuhörer, die sich Kokarden in der blauen PdL-Parteifarbe an Hemden und Jacketts hefteten. Dann erschien der lombardische Koordinator der PdL, um zu erklären: „Was hier stattfindet, ist eine Aggression der Justiz gegen Berlusconi, wir solidarisieren uns mit ihm… Das ist politische Justiz. Die Menschen fühlen, dass hier Unrecht geschieht“. Die Unruhe nahm zu, in Ermangelung von B. wurde stellvertretend sein Verteidiger mit Beifall bedacht. Aus dem Vorraum drang Gekreische, wie es Fans bei Pop-Idolen veranstalten. Das Fernsehen registrierte Erklärungen wie: „Was er auch immer getan hat, ich stehe zu ihm“, „Lasst ihn doch endlich arbeiten“, „Hört auf, euch mit ihm anzulegen“. Ruhe kehrte erst wieder ein, als die Gerichtsvorsitzende die Carabinieri einschaltete.
Eine Woche später, am 28. März, ging es um das zweite Verfahren, das noch gegen B. aus früheren Zeiten anhängig ist: Betrug und Steuerhinterziehung im Fall Mediatrede. Dieses Mal erschien B. persönlich, seine Anhänger skandierten schon auf dem Vorplatz „Silvio, Silvio“. Nun gab es auch Gegendemonstranten, die aber von der Polizei in Schach gehalten wurden.
Beides war ein Vorgeschmack, der B.s Vorstellung von gesundem Volksempfinden und zukünftiger Rechtskultur zeigt. Einer der reichsten und mächtigsten Männer Europas setzt seine Organisation gegen die Richter und Staatsanwälte in Bewegung, die es noch wagen, ihn für irgendetwas zur Verantwortung zu ziehen.
Alles nur Theater? In seinem Kampf gegen die Justiz bringt B. gerade ein neues Gesetz durch das Parlament, das die persönliche Verantwortung der Richter für vermutete Rechtsfehler festschreibt. Der Kontext macht klar, was vor allem gemeint ist. Es wäre der Fehler, IHN zu verurteilen. Der Angriff gegen die Justiz ist konzentrisch. Das Ziel ist Einschüchterung.