Heilbringer in Lampedusa
Es war eine perfekte Show. Am 30 März trifft B. als Retter in der Not in Lampedusa ein und verkündet dem staunenden Volk, die Insel werde innerhalb von 60 Stunden „migrantenfrei“ sein. Er werde persönlich dafür sorgen. Erinnerungen an ähnliche mediale Ankündigungen zum Müll in Neapel und zum Wiederaufbau nach dem Erdbeben von Aquila werden wach. In Neapel stapelt sich weiter der Müll auf den Straßen, Aquila gleicht immer noch einer Geisterstadt. In Lampedusa wurde B.s Image als „Mann der Tat“ wieder aufpoliert, die Menschen jubeln. Diesmal überschlägt er sich mit Versprechungen: er werde Lampedusa ein Jahr lang von Steuern befreien, ein Casino und einen Golfplatz bauen lassen (als ob das die dringlichsten Bedürfnisse der Einwohner wären). Und – toller Einfall – die Insel für den Friedensnobelpreis vorschlagen. Dann der Clou: Er sei jetzt selbst Lampedusaner, denn er habe sich dort soeben via Internet – mir nichts dir nichts – eine schöne Villa gekauft. Für läppische zwei Millionen. Angesichts von tausenden Flüchtlingen, die derzeit im Dreck hausen, eine schöne Geste. Sprach‘ s und verschwand. Kurz nach seiner Abreise kam das nächste Boot mit Hunderten von Migranten im Hafen an.
Über 6000 Flüchtlinge erreichten in den letzten Wochen die kleine Insel, die etwa 5000 Einwohner zählt. Fast alle sind junge Männer aus Tunesien, die sich ein besseres Leben in Europa erhoffen. Das kleine Aufnahmelager ist hoffnungslos überfüllt. Tausende kampieren im Freien am Hafen, ohne sanitäre Einrichtungen. In Dreck, Gestank und steigenden Müllbergen.
Die Lampedusaner schwanken zwischen Hilfsbereitschaft, Verzweiflung und Wut. Einige Ehrenamtliche organisieren die Ausgabe von gespendetem Essen, Decken und Kleidung. Doch immer mehr überwiegt die Wut, verbunden mit der Angst vor Kriminalität und Epidemien. Einige tausend Flüchtlinge wurden zwar in andere provisorische Zeltlager – eins in Manduria (Apulien), eins in Mineo (Sizilien) – gebracht. Dafür kommen täglich neue Boote an.
Nun sollen all diese Probleme „innerhalb von 60 Stunden“ beseitigt werden. Was aus den Flüchtlingen wird und wie es mit ihnen weiter geht, weiß kein Mensch. Die Schiffe, die sie abtransportieren sollen, liegen noch vor dem Hafen. Das Schiffspersonal sagt, sie wüssten weder wann noch wohin die Reise geht. Innenminister Maroni kündigte an, es würden „in ganz Italien“ Aufnahmelager errichtet werden. Doch bisher gibt es nur die zwei in Apulien und in Sizilien. Die von der Lega regierten Nordregionen weigern sich, „Illegale“ aufzunehmen. Sollen sie doch in Süditalien bleiben, dort sei „das Klima ohnehin geeigneter für Leute aus dem Maghreb“, so zynisch Piergiorgio Stiffoni, Lega Nord. Die übrigen Regionen verlangen, auch den Norden einzubeziehen. Jeder findet Gründe, warum es bei ihm gerade nicht geht. Die Gouverneurin von Latium, Renata Polverini (PdL) erklärt, in ihrer Region seien die Kapazitäten wegen der Feierlichkeiten zur Seligerklärung von Papst Johannes Paul II bis Mai ausgeschöpft. Innenminister Maroni droht mit „sofortigen Massenrückführungen“, wohl wissend, dass dies nicht möglich ist, weil sie europäischem und internationalem Recht widersprechen.
Ein Konzept zur Erstunterbringung, zur individuellen Prüfung der Fluchtgründe, wie es das Gesetz vorsieht, und gegebenenfalls zur Rückführung, wenn keine Asylgründe vorliegen, existiert nicht. Auch die Appelle an Europa, für die Einwanderung aus Nordafrika eine Mitverantwortung zu übernehmen, stoßen auf taube Ohren. In den nächsten Tagen und Wochen werden neue Boote die Küste von Lampedusa erreichen. Die Hoffnung auf den Friedensnobelpreis und die neue Villa des Ministerpräsidenten werden weder den Inselbewohnern noch den Flüchtlingen helfen.
Was also tun? Der größte Teil der aus Tunesien kommenden jungen Männer sind offenbar nicht politisch Verfolgte oder Kriegsflüchtlinge, sondern Armutsflüchtlinge. Doch was folgt daraus? Auch in diesem Fall sind sie erst einmal menschenwürdig unterzubringen und haben sie Anspruch auf ein rechtmäßiges Prüfverfahren, bevor Rückführungen stattfinden können. Das wären aber nur kurzfristige Reaktionen auf eine Notsituation. Längerfristig kann die Antwort nur lauten: Europa und der Westen insgesamt müssen massive und gezielte Hilfen und Aufbaupläne in den Herkunftsregionen der Migranten leisten. Zu glauben, man könne diese Länder und ihre junge Bevölkerungen weiter als billiges Hinterland für den eigenen Wohlstand nutzen, ist ein fataler Irrtum, dessen Folgen nicht nur diese Region, sondern ganz Europa zu tragen hat. Vor allem fehlt die Einsicht, dass die Befreiungsbewegungen in Nordafrika für uns auch eine große Chance bieten, nämlich die einer demokratischen Entwicklung in unserer Nachbarschaft. Hier vertraute Europa bisher auf Despoten, aber das zahlt sich auf längere Sicht nicht aus. Und mediale Ein-Tag-Shows und heilbringende Zampanos bringen uns erst recht keinen Schritt weiter.