Fernsehmüll
Italien ist keine Diktatur, Berlusconi ist kein Mussolini, nicht einmal ein Gaddafi. Aber sind wir wirklich sicher, dass Italien (noch) eine Demokratie ist?
Der Zweifel wächst täglich. Die Mitte-Rechts-Mehrheit im Parlament hält sich nur dank einiger Abgeordneter, die auf den Listen der Opposition gewählt wurden, aber sich von den lukrativen Angeboten B.s angezogen fühlen wie die Motten vom Licht. Aufgrund der Ungleichheit der Bürger – oder besser: eines Bürgers – vor dem Gesetz wird eben dieser B. für keines der vielen Vergehen, derentwegen er unter Anklage steht, von einem Gericht verurteilt. Wohin man auch schaut, von der Krise in Libyen bis zur atomfreundlichen Regierungspolitik, vom Verschleppen der humanitären Katastrophe in Lampedusa bis zur sezessionistischen Politik der Lega Nord, gibt es kein Signal für eine vernünftige europäische Politik. Wenn überhaupt, gibt es Signale der Verrohung und des Egoismus, wie den Ausspruch des Lega-Gurus Bossi zur Flüchtlingspolitik: „För dai bal“, was ins Hochitalienische übersetzt und seiner Vulgarität entkleidet soviel bedeutet wie: „Die Tunesier? Schicken wir nach Hause“.
Trotzdem ist der Konsens, den B. unter den Italienern genießt, weiterhin hoch. Er ist schwer verstehbar und noch schwerer erklärbar. Die mediale Übermacht B.s ist bekannt und wurde von uns schon verschiedentlich dargestellt. Da sich Mediaset in seinem Privatbesitz befindet und er dank seines Regierungsamts auch die staatliche RAI übernahm, kontrolliert er mindestens 90 % aller Fernsehsendungen. Von B. und seinen Kumpanen wurden nicht nur die Redaktionen der wichtigsten Nachrichtensendungen und Talkshows wie Porta a Porta übernommen. Seine propagandistische Potenz gründet gerade auch in der Vielzahl der Unterhaltungssendungen. Denn durch sie wird der Berlusconismus viel wirksamer verbreitet, zumal der jahrzehntelange Konsum von Fernsehmüll die Zuschauer verblödet hat.
Ein Beispiel war vor einigen Tagen im „Forum“ zu besichtigen, einer Sendung, die mehrmals wöchentlich im Canale 5 (einem von B.s Privatsendern) läuft. Sie simuliert Gerichtsverfahren, in denen Laiendarsteller vorgegebene Rollen übernehmen und über die dann ein Richter urteilt. Was wiederum das anwesende Publikum unter Anleitung einer Moderatorin kommentiert. Ähnliches bekommt man auch nachmittags von deutschen Privatsendern zu sehen. Die Spezialität des „Forums“ ist es, dass hier die Darsteller Texte rezitieren, welche die politische Meindung der Zuschauer auf ebenso unterschwellige wie eindeutige Weise zu beeinflussen suchen.
In der vergangenen Woche lag im Forum ein fiktives „Ehepaar“ miteinander im Streit. Nachdem die „Ehefrau“ namens Maria Villa erzählt hatte, in Aquila zu wohnen und das Erdbeben erlebt zu haben, erklärte sie:
Maria Villa: „Ich möchte danken… Ich weiß nicht, ob ich darf… dem Präsidenten…“
Moderatorin: „Natürlich. Der Regierung, sicherlich…“
Maria Villa: „Ja, der Regierung, die uns mit allem versorgt hat. Alle haben jetzt eine Wohnung mit Garten, und Garage… Die Leute haben Arbeit, niemand liegt auf der Straße. Alle kehren zu ihren alten Tätigkeiten zurück, die Jugendlichen kehren zurück. Das normale Leben ist wieder da.“
Moderatorin: „Ihr müsst euch auch bei Bertolaso bedanken (Unterstaatssekretär und Chef des Zivilschutzes), der großartige Arbeit geleistet hat…“
Applaus im Zuschauerraum.
Maria Villa: „Das wollte ich noch sagen… Zuerst haben sie eine Zeltstadt aufgebaut, aber gleich anschließend haben sie die Wohnungen mit Garten und Garage übergeben. Es gibt noch 300 bis 400 Leute, die in Hotels leben. Aber nur, weil ihnen das so lieber ist… Sie leben dort auf Staatskosten: Sie essen und trinken, ohne zu zahlen. Auch ich würde gern so leben“.
Jeder weiß, dass der Wiederaufbau in der Hauptstadt der Abbruzzen nach dem Erdbeben nur langsam und schleppend vorankommt. Und Aquila jetzt eine tote Stadt ist. Alle wissen es, außer den Drehbuchschreibern des „Forum“, die es sich nicht nehmen ließen, im Text der angeblichen Bewohnerin von Aquila (in Wahrheit wohnt sie zwar in den Abbruzzen, aber nicht in Aquila, und ist kein Erdbebenopfer) auch ein Lob der Regierung – und natürlich von B. – unterzubringen.