Egoismus ohne Grenzen
Die Lega hat die Wahlen gewonnen. Sie hat mehr als 30 % der Stimmen bekommen und kann nun diktieren, wie es weiter geht. Punkt 1 ist die Verjagung aller Italiener. Zur Klärung: Die Lega, um die es hier geht, ist nicht die von Bossi, sondern die Lega dei Ticinesi aus der Schweiz, die ein gewisser Giuliano Bignasca führt.
Bignasca, ein Schweizer Bauunternehmer und Verleger, ist eine Mischung von Borghezio (ein Europa-Abgeordneter der Lega, A.d.R.) und Berlusconi, von hemmungsloser Vulgarität und unbegrenzter Macht. Ansonsten unterscheidet sich die Politik der Schweizer Lega nicht von der der norditalienischen Lega: der gleiche Populismus und enthemmte Egoismus, die gleiche Fremdenfeindlichkeit. Hier sind es jedoch nicht die Nordafrikaner oder Rumänen, die sich im Visier der Wahlsieger befinden, sondern die sog. „Grenzgänger“, d. h. die Italiener, die in der Schweiz arbeiten, aber in der Lombardei wohnen. Die Grenzgänger leben vor allem in Varese, Como und Verbania, d. h. in Gegenden, in denen die Lega Nord besonders stark ist.
Bignasca hat schon angekündigt, darüber bald mit seinem Freund Bossi reden zu wollen. Er wird ihm sagen, dass die Tessiner Lega bei der Arbeitsvergabe den Tessinern den Vorzug vor den Italienern geben will. Und ihm erklären, dass das Tessiner Boot voll ist und die Grenzgänger verhungerte Ratten sind, die an den guten Schweizer Käse herankommen wollen – wie es kürzlich eine fremdenfeindliche Schweizer Kampagne auf den Punkt brachte. Argumente, die Bossi gut verstehen wird, denn es sind die gleichen, die „seine“ Lega seit Jahren gegen alle Immigranten, Flüchtlinge und Italiener aus anderen Regionen ins Feld führt. Nur dass in diesem Fall die Rolle der „Ratten“ italienischen Arbeitern zugewiesen wird, und zu diesen höchst wahrscheinlich auch Wähler der Lega Nord gehören.
Es läge nahe, diese moderne Form der politischen Wiedervergeltung ironisch mit dem bekannten „Wer anderen eine Grube gräbt…“ zu kommentieren. Aber bei uns überwiegt die Trauer, wie (hier: die Schweizer) Wähler eine Politik honorieren, die auf Egoismus und Ignoranz gründet. Zumal wir wissen, dass es nicht Bossi ist, der für sie zahlen muss.
Die Politik ist egoistisch, weil sie nur der Befriedigung eigener Bedürfnisse dient, und zwar zu Lasten der anderen. Sie ist aber auch ignorant und irrational, weil sie nicht zur Kenntnis nimmt, was alle Untersuchungen bestätigen: dass diese Grenzgänger, genauso wie die „Extracomunitari“ in Italien, gerade die Arbeiten erledigen, zu denen die Ortsansässigen nicht mehr bereit sind, und somit einen wichtigen volkswirtschaftlichen Beitrag leisten.
„För dai bal“ (Vulgärfassung von „Raus!“) murmelte Bossi vor einigen Tagen in Richtung Tunesier. „Raus mit den italienischen Ratten“, so das Echo aus dem Tessin. Hoffen wir, dass dies nicht der Beginn einer Kettenreaktion ist, in der sich die Lombarden mit den Piemontesen, die Bürger von Varese mit denen von Como usw. anlegen, bis zum Show Down zwischen Nachbarn. Die Spirale des Hasses zu durchbrechen ist nicht leicht, wenn es an Vernunft fehlt, aber notwendig, wenn wir noch in der Zivilisation leben wollen.