Die „Pentiti“
Wörtlich sind „Pentiti“ die Reuigen. In Italien werden so ehemalige Mafia-Mitglieder genannt, die von der Justiz verurteilt wurden und sich – aus welchen Gründen auch immer – entschlossen haben, mit ihr zusammenzuarbeiten. Wie bei der „Kronzeugenregelung“ in Deutschland bringt ihnen das unter Umständen Strafmilderung und erleichterte Haftbedingungen ein. Andererseits ist es für sie auch mit Risiken verbunden – die Mafia, auf deren Todeslisten sie meist geraten, nennt sie „sprechende Tote“. Weshalb die Justiz für sie Zeugenschutzprogramme entwickeln muss. Aber ihr Problem ist nicht nur die Mafia.
Erstes Beispiel: Am Vormittag des 19. Januar 2011 sitzen in Castelvetrano, einer Kleinstadt im Westen Siziliens, Vertreter der Anti-Mafia-Behörde aus Palermo auf dem Podium des kommunalen Theaters und warten. Es ist der Geburtstag Paolo Borsellinos, des legendären Richters und Anti-Mafia-Jägers, der an diesem Tag 71 Jahre alt geworden wäre und den vor 19 Jahren in Palermo eine Autobombe zerriss. Da die Veranstalter Schüler des örtlichen Gymnasiums erwarten, haben sie den Vincenzo Calcara mitgebracht, der als Zeitzeuge von den damaligen Ereignissen berichten soll. Calcara hat eine interessante Biografie, er stammt selbst aus Castelvetrano. Vor 20 Jahren hatte ihn die Cosa Nostra dazu ausersehen, Borsellino mit einem Präzisionsgewehr umzubringen. Im letzten Moment wechselte er die Fronten und setzte das geplante Opfer davon in Kenntnis. Borsellino konnte er nicht retten – andere erledigten an seiner Stelle den Job mit Dynamit -, aber Calcara ist seitdem zum „Pentito“, zum überzeugten Kronzeugen gegen die Cosa Nostra geworden. Die Veranstaltung ist ein Fehlschlag, es kommen nur ein paar Rentner. In einem vor dem Theater verteilten Flugblatt steht: „Ein Mörder kann kein Dozent für Legalität“ sein. Ähnlich begründet der Leiter des örtlichen Gymnasiums, dass er seinen Schülern an diesem Tag nicht freigibt: „Vincenzo Calcara ist niemand, von dem unsere Jugendlichen etwas lernen könnten“.
Zweites Beispiel: Vor einigen Wochen tauchen in einigen Orten in der Nähe von Caserta (Kampanien) selbstgemalte Plakate auf, auf denen in holperiger Sprache steht:
„Wir machen hiermit bekannt, dass Giuseppe Guerra mit der Justiz zusammenarbeitet. Die Familien von Luigi und Salvatore Guerra und von Gaetano Antonio samt Frauen und Kindern sagen sich hiermit von allen Unwahrheiten los, die Giuseppe Guerra und seine Frau den Mut haben über uns in den Zeitungen zu verbreiten. Uns, das heißt alle Angehörigen der Familie, sind von ihrer Entscheidung getroffen. Wir sagen uns davon vollständig los, insofern wir nichts mit seinem Leben und seinen Missetaten zu tun haben, insofern wir stets gearbeitet haben und mit allem, was er in den Zeitungen veröffentlicht, nicht einverstanden sind“.
In beiden Fällen sind „Pentiti“ die Steine des Anstoßes, und es sind Orte in Mafia-Hand, in denen sie zu Outlaws erklärt werden. In Castelvetrano soll sich immer noch der der letzte flüchtige Cosa Nostra-Chef Matteo Messina Denaro verstecken, der persönlich mindestens 50 Menschen umbrachte. Caserta ist Camorra-Land. Hier wie dort ist es nackte Angst‚ welche ihre Nachbarn und sogar ihre eigenen Familienangehörigen zu den „Pentiti“ auf Distanz gehen lässt. Notdürftig lässt es sich auch moralisch bemänteln: Brachen die „Pentiti“ nicht deshalb mit der Mafia, weil sie sich davon persönliche Vorteile versprachen?
Auch Berlusconi hat sie im Visier. Denn es sind „Pentiti“ wie Gaspare Spatuzza, Gaspare Mutolo, Salvatore Cancemi, die ihm nachsagen, zu Beginn der 90er Jahre nicht nur engste Beziehungen zur Cosa Nostra gepflegt, sondern auch in ihre terroristischen Anschläge verwickelt gewesen zu sein, sie teilweise sogar in Auftrag gegeben zu haben. Solches zu behaupten ist sicherlich noch kein Beweis. Hätte aber B. eine weiße Weste, so würde er die Justiz ermutigen, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Aber diese weiße Weste hat er nicht, und zwar bis heute, siehe seine Freundschaft mit Figuren wie Dell’Utri und Cosentino. So verkündet er, „Pentiti“ könne man nichts glauben, wohl wissend, dass ihr öffentliches Ansehen schon prekär genug ist. Und diskreditiert sie damit weiter. Für ein Land, das sich im Kampf gegen die Mafia befindet, ist er kein Verbündeter.