Surrealer Wahlkampf
Zigeunerstadt, neues Stalingrad, Schwulenmekka, freie Drogen, Terrorgefahr… Wer in diesen letzten Tagen vor der Bürgermeisterstichwahl in Mailand und Neapel die Auftritte B.s, Bossis und ihrer Leute in Presse und Fernsehen verfolgt, schwankt zwischen ungläubigem Staunen, Lachanfällen und Empörung.
Dabei hatten PdL und Lega nach dem Debakel in der ersten Runde der Kommunalwahlen – vor allem in Mailand, wo der Mittelinks-Kandidat 6 Punkte vor der jetzigen Bürgermeisterin liegt – erklärt, ihre Wahlkampagne sei falsch gewesen. Zu viel Polemik, zu viele raue Töne, zu wenig Hinwendung zu den konkreten Problemen der Bürger. Es wurde Kritik an B. laut, seine Tiraden gegen die Staatsanwälte hätten nur geschadet. Man gelobte eine zweite Wahlrunde mit „moderaten Tönen“. Die sahen dann so aus:
„Der da (Pisapia, Oppositionskandidat in Mailand) ist ein Verrückter, er will die Stadt mit Moscheen und Zigeunern vollstopfen und aus Mailand eine Zigeunermetropole machen“
(Bossi im Fernsehen am 19. 5.)
„Die Mailänder werden ihre Stadt nicht in die Hände derer geben, die aus ihr eine islamische Stadt machen, eine Zigeunerstadt, in der die Roma Baracken an jeder Ecke errichten dürfen, die ihnen beliebt“
(B. auf fünf Fernsehkanälen am 20. 5.)
„Wenn er (De Magistris, Oppositionskandidat in Neapel) gewinnt, wird er Familien mit Kindern diskriminieren und ‚femminielli’ (neapoletanisch: Schwule) und Transvestiten bevorzugen“
(Giovanardi, PdL, Staatssekretär im Familienministerium am 21. 5.)
„Pisapia ist – metaphorisch gesprochen – der Antichrist, den das Evangelium als gewinnendes Wesen beschreibt, mit freundlichem Benehmen und schmeichelnder Sprache, die aber trügerisch ist“
(Rodolfo Casadei in der Online-Zeitschrift „Tempi“ der katholischen Vereinigung „Comunione e Liberazione“).
Zu welchen abstrusen Mitteln Pisapias Gegner greifen, zeigen Meldungen über „falsche Zigeuner“ die in der Stadt ebenso falsche Flugblätter pro Pisapia verteilen („Eine davon war die Mutter meiner Freundin, sie hat mir gesagt, dass sie für die ‚Gegenkampagne’ arbeitet“, so eine verblüffte Mailänderin), und „falsche Bauarbeiter“, die in Stadtvierteln auftauchen und ankündigen, Messungen für geplante Moscheen vornehmen zu wollen.
Einige Anhänger Pisapias greifen zur Satire. Im Netz häufen sich jetzt Botschaften der Art: „Pisapia ist der Papa von Charles Manson“, „P. scheißt auf der Strasse und gibt den Hunden die Schuld“, „P. schleicht sich nachts in die Wohnungen und flüstert den Kindern ins Ohr ‚Man hat dich adoptiert!’“ , „P. ist der, der JFK empfahl, in Dallas Cabriolet zu fahren“ …
Und was sagt „der Antichrist“ (ein älterer, fast schüchtern wirkender Rechtsanwalt aus gutbürgerlicher Familie, mit ausgesprochen höflichen Manieren) dazu? Er hat erklärt, man wolle „dem Gegner die andere Backe“ bieten und sich nicht provozieren lassen. Der Mann hat Nerven.
Die absurden Angriffe von PdL und Lega auf die Oppositionskandidaten gehen einher mit ebenso hahnebüchenen Wahlversprechen kurz vor Ladenschluss. Mal wird den Mailändern angekündigt, ihre Strafzettel zu annullieren (Bürgermeisterin Moratti), mal den Neapolitanern, alle Verfahren wegen illegalen Gebäudebaus einzustellen (B.). Dann wieder verspricht die Lega, zwei Ministerien von Rom nach Mailand zu verlegen, was die Mailänder allerdings ziemlich kalt ließ, und was aufgrund heftiger Proteste der römischen PdL wieder halb zurückgenommen wurde.
Wie das alles die Stichwahlen an diesem Wochenende beeinflussen wird, ist schwer vorauszusagen. Manche meinen, das Ganze wird sich für die Rechte als Boomerang erweisen. Andere glauben, es könnte ein paar rechte Wähler, die in der ersten Runde zu Hause blieben, nun doch zur Stimmabgabe motivieren. In ein paar Tage werden wir es wissen.
Eins ist allerdings schon jetzt deutlich: Im rechten Lager brodelt es gewaltig, sowohl zwischen Lega und PdL, auch innerhalb der PdL selbst. Wie angeschlagen B. ist, zeigt sich daran, dass sich namhafte Unternehmer als auch Repräsentanten der katholischen Kirche mitten im Wahlkampf von ihm distanzieren oder gar zur Wahl von Mitte-Links aufrufen. Und auch daran, dass seine familieneigene Zeitung „Il Giornale“ und sein „Propagandachef“ Giuliano Ferrara ihm jetzt mit ungewöhnlich harten Worten „gravierende Fehler“ vorwerfen.