Die korrupte Kaste verschanzt sich
Was die italienische Regierung im Sommer 2011 aufführt, ist ein Lehrstück. Mit dem Thema: Wie man der Politikverachtung, die im italienischen Volk sowieso vorhanden ist, weitere Argumente nachliefert.
Es sei zugestanden, dass die Regierung gegenwärtig vor einem Problem steht. Unter dem Druck der EU und drohender „griechischer Verhältnisse“ muss sie das Volk davon überzeugen, dass ein radikales Einsparungsprogramm vonnöten ist. Womit sie ihm die Quittung für eine Misswirtschaft präsentiert, für die sie – samt ihren Vorgänger-Regierungen – selbst die Verantwortung trägt und die das Land in Stagnation und Verschuldung führte.
Wenn eine solche Operation notwendig ist, muss der Chirurg glaubwürdig sein. Je einschneidender sie ist, desto mehr Verantwortungsbewusstsein muss er zeigen. Und da es keine medizinische, sondern eine soziale Operation ist, muss er dabei gerecht und mit Augenmaß vorgehen.
Was tut die italienische Regierung? Zunächst einmal verschiebt sie die einschneidendsten Maßnahmen auf die nächste Legislaturperiode. Außerdem macht sie klar, dass es v. a. die unteren und mittleren Einkommen sind, die zur Kasse gebeten werden. So werden ab sofort allen Kranken zusätzliche Behandlungsgebühren nach dem Rasenmäherprinzip abverlangt, was vor allem die Ärmeren trifft. Nun gut, könnte man einwenden, ohne Einschnitte in den Sozialstaat wird ein solches Sparprogramm nicht auskommen. Aber um überzeugend zu sein, wäre es wichtig, dass dabei die politische Klasse mit gutem Beispiel vorangeht. Denn sie gehört bekanntlich zur teuersten ganz Europas: In beiden Kammern residieren über 1000 Abgeordnete, welche – im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern – mit die höchsten Diäten beziehen. Ganz abgesehen von ihren sonstigen Privilegien. Schon lange ist in der Diskussion, dass die Anzahl der Abgeordneten deutlich verringert, ihre Diäten gekürzt und Privilegien abgebaut werden müssten. Warum nicht jetzt die notwendigen Beschlüsse fassen? Aber hier wird nichts angetastet. Zu B.s System des Machterhalts gehört nun einmal das Versprechen politischer Pfründen. Eine Ressource, die nicht eintrocknen darf.
Gleichzeitig versacken die Regierungspolitiker immer tiefer im Sumpf von Korruption und kriminellen Machenschaften. Siehe die Meldungen der letzten Wochen. Für den PdL-Abgeordneten und ehemaligen Staatsanwalt Alfredo Papa forderte die Justiz die Aufhebung der Immunität, um ihn in Untersuchungshaft zu nehmen. Er steht im dringenden Verdacht, zum Geheimkreis „P4“ um Luigi Bisignani zu gehören und seine Funktion in der Justiz genutzt zu haben, um sich Informationen über laufende Ermittlungsverfahren zu besorgen, die er zum Zwecke der Warnung oder Erpressung anderer an Bisignani weiterleitete oder zur persönlichen Bereichung nutzte. Gegen Minister Saverio Romano erhebt die Justiz die Anklage, dass er in Verbindung zur Cosa Nostra stand. Aber B. weiß, wer seine Freunde sind. Seine Rolle ist immer die gleiche: verhindern, dass den Betroffenen durch das Parlament das Misstrauen ausgesprochen oder ihre Immunität aufgehoben wird, dass die Protokolle der bei den Ermittlungen abgehörten Telefonate veröffentlicht werden usw.
Die korrupte Kaste verschanzt sich. Der Skandal ist so offensichtlich, dass inzwischen auch B.s Koalitionspartner, die Lega, unsicher wurde, ob sie ihm dabei noch folgen soll. Umso entlarvender ist das Argument, mit dem B. Freund Bossi zu überzeugen sucht, ihn bei dieser Einigelungstaktik weiterhin zu unterstützen: Wenn man zulasse, dass Papa den Gerichten überstellt wird, wäre das der Dammbruch. Im Handumdrehen würden 10 weitere PdL-Größen, darunter zwei Minister, auf der Kandidatenliste für das Untersuchungsgefängnis stehen. B. muss es wissen.
Letzte Meldung:
Soeben wurde bekannt, dass sich das italienische Parlament in geheimer Abstimmung mehrheitlich (mit 319 zu 293 Stimmen) dafür ausgesprochen hat, die Immunität von Alfredo Papa aufzuheben. Eine weitere schwere Niederlage für B., der dieses Ergebnis als „Schande“ bezeichnete, und die offenbar durch das Umschwenken der Lega ermöglicht wurde. Paradoxerweise lehnte der Senat fast zeitlich die Aufhebung der Immunität für den ehemaligen PD-Senator Tedesco ab, die ebenfalls von der Justiz wegen Korruptionsverdacht beantragt worden war. Hier konnte sich Berlusconis Linie, auf keinen Fall eine Immunität aufzuheben, noch durchsetzen – obwohl die PD und auch Tedesco selbst die Aufhebung seiner Immunität befürwortet hatten.