Recht im Schraubstock

Ist es nicht schön, wenn eine Regierung mit frommem Augenaufschlag verkündet, sie wolle dafür sorgen, dass die Justiz schneller arbeitet? Insbesondere in Italien, wo die Prozesse im Normalfall viel zu lange dauern? Und wenn sich die gleiche Regierung auch für die Chancengleichheit von Anklage und Verteidigung einsetzt? Was kann man gegen eine Obrigkeit haben, die auf Fairness und Bürgerfreundlichkeit achtet?

Schön wäre es, in der Tat, und so stellt auch B. die Gründe seiner Reformpläne dar. Aber kaum jemand glaubt sie ihm noch. Denn das Bild ändert sich, wenn man die Dinge aus der Nähe und im Zusammenhang betrachtet. Und fragt, wem sie nützen.

Am wenigsten kann man eigentlich gegen das Gesetzesdekret haben, das die Regierung soeben durch den Senat brachte und neue Regeln für die Durchführung von Strafverfahren enthält. Es stärkt die Rechte der Angeklagten und ihrer Verteidiger, indem von nun an alle von ihnen gestellten Beweisanträge und Zeugen in das Verfahren aufzunehmen sind – das Gericht kann sie nur zurückweisen, wenn es sie als nicht zum Verfahren gehörig erachtet. Auch wenn sich dadurch der Abschluss mancher Verfahren hinauszögert, weil die Verteidigung ihre neuen Möglichkeiten voll ausschöpft, wäre das noch kein Grund zur Aufregung – ähnliche Regelungen gibt es z. B. auch im deutschen Prozessrecht.

Anders sieht es mit dem zweiten Gesetzesdekret aus, das in der Öffentlichkeit unter dem Namen „kurzer Prozess“ gehandelt wird und in den nächsten Monaten die letzten parlamentarischen Hürden nehmen soll. Es ist eine gesetzgeberische Missgeburt, denn nimmt man die offizielle Begründung ernst, dass damit der Justiz Beine gemacht werden soll, dann mit untauglichen Mitteln: Es werden einfach die Verjährungsfristen verkürzt, ohne dass der Justiz die dafür notwendigen zusätzlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Das schlimmste an diesem neuen Gesetz ist die sog. „Übergangsregelung“, die es auch auf alle laufenden Verfahren anwendbar macht, und damit Tausende von anhängigen Prozessen abrupt beendet. Als ob man gesetzlich vorschreiben würde, dass bei Operationen im Krankenhaus nach einer halben Stunde der Strom abzustellen ist – um die Operationszeiten zu verkürzen. Ohne Rücksicht auf die Patienten, die gerade unterm Messer liegen.

Im Zusammenhang damit erscheint nun auch das erste gerade im Senat verabschiedete Gesetzesdekret in einem anderen Licht. Beide Gesetze gemeinsam nehmen das ordentliche Gerichtsverfahren, das ja eigentlich der Wahrheitsfindung dienen soll, in die Zange: Einerseits werden der Verteidigung zusätzliche Mittel gegeben, um den Prozess zu verlängern, andererseits werden den Verfahren engere zeitliche Grenzen gesetzt, bis sie verjähren. Beide Gesetze nutzen den Angeklagten (zumindest wenn sie die nötigen finanziellen Mittel haben). Aber weder denjenigen, die vor Gericht ihr Recht suchen, noch den Staatsanwaltschaften, die im Namen der Opfer tätig werden.

Damit nähern wir uns dem Kern. Warum musste in einem Moment, in dem Italien in einer ökonomischer Existenzkrise steckt und eigentlich andere Sorgen hat, unbedingt noch schnell vor den Sommerferien das Gesetz über den „langen Prozess“ durch den Senat gepeitscht werden? Weil der italienische Ministerpräsident Berlusconi heißt, der vier Prozesse am Hals hat und die Welt nun einmal aus der Perspektive des Angeklagten sieht. Schaut man sich seine Prozesse genauer an, dann zeigt sich, dass drei von ihnen – Mills, Mediaset, Mediatrade – beste Aussicht haben, bis zur Verjährung „gestreckt“ werden zu können. Wenn beide Gesetze durchkommen. Weil dann die Verteidigung beides nutzen kann: die erweiterte Möglichkeit, durch Benennung zusätzlicher Zeugen die Prozesse zu verlängern, und die kürzeren Verjährungsfristen. Bleibt der Ruby-Prozess. Wenn ihn B. mit dem Märchen von „Mubaraks Nichte“ nicht sowieso los wird, lässt sich das Urteil zumindest hinauszögern.

Das Volk hat B. per Referendum mitgeteilt, dass vor dem Gesetz alle gleich sein sollen: Angeklagter und Opfer, arm und reich. Aber was interessiert das B.? Er hat zwei Obsessionen: den Erhalt seines privaten Milliarden-Besitzes und kein Gefängnis. Dafür spielt er jetzt mit der Justiz langer Prozess – kurzer Prozess. Oder Ziehharmonika, umgangsdeutsch „Quetschkommode“. Hier passt das Bild.

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