Das aufgezwungene Sparpaket
Wenn es nach B. gegangen wäre, hätte er für Italien ein Sparprogramm auf den Weg gebracht, von dem niemand etwas merkt. Zumal er ja bis vor kurzem geleugnet hat, dass es für Italien so etwas wie eine „Krise“ geben könne. Später brüstete er sich damit, gegen seinen Minister Tremonti die ursprünglich geplante sog. „Reichensteuer“ wieder gestrichen zu haben. Eine Steuer, welche die Besserverdienenden getroffen hätte, die im Jahr mehr als deklarierte 90 000 € verdienen. Es ist B.s Klientel, der er einst feierlich versprach, dass er „nie dem Bürger die Hand in die Tasche stecken“ werde. Der nächste Wahlkampf findet spätestens 2013 statt.
Aber dann kam es knüppeldick. Zunächst der Brief der EZB aus Frankfurt, der B.s geniale Idee durchkreuzte, alle spürbaren Sparmaßnahmen auf die Zeit nach der nächsten Wahl zu verschieben. Dann sprachen zu Beginn dieser Woche die Börsen ihr Urteil, indem sie die staatlichen Schuldverschreibungen noch weiter in den Keller fallen ließen. Was wiederum Staatspräsident Napolitano veranlasste, sich Montagabend mit ungewohnter Deutlichkeit in die Niederungen konkreter Haushaltspolitik zu begeben: Das Sparprogramm müsse erheblich „effizienter“ und „glaubwürdiger“ werden, solle nicht alles den Bach runtergehen – was auf die für einen Staatspräsidenten eigentlich unziemliche Feststellung hinauslief, dass der bisherige Entwurf diesen Anforderungen nicht gerecht wurde. Und als stecke hinter allem ein abgekartetes Spiel, ließ auch noch Angela Merkel am gleichen Montag verlauten, sie sehe Italien in der Gefahr, zu einem Fall „wie Griechenland“ zu werden und damit den Euro in Gefahr zu bringen. Außerdem steht in dieser Woche eine Vorstandssitzung der EZB an, von der abhängt, ob sie weiterhin italienische Schuldverschreibungen aufkauft.
Nun ging alles sehr schnell: Innerhalb von 24 Stunden verabschiedete der Ministerrat einen neuen Entwurf, der wirklich „ans Eingemachte“ geht. Zum einen wird ab 2014 für Frauen auch im privaten Sektor das Renteneintrittsalter stufenweise auf 65 und später sogar – wie bei den Männern – auf 67 Jahre angehoben Zum anderen wird die Mehrwertsteuer für „nicht lebensnotwendige“ Güter wie Kleidung, Haushaltsgeräte, Möbel, Transportmittel usw. um einen Punkt auf 21 % angehoben. Von der „Reichensteuer“ bleibt sogar ein kleiner, wenn auch nur kosmetischer Rest: Wer jährlich über ein Gesamteinkommen von mehr als (deklarierten!) 300000 € verfügt, muss davon 3 Prozent abführen. Trotzdem wird dieses Sparpaket überwiegend von den weniger bemittelten Schichten zu tragen sein – z. B. die Mehrwertsteuererhöhung werden vor allem sie zu spüren bekommen. Dazu ein Detail: Mit großem Tamtam wurde angekündigt, man wolle sich das in der Staatskasse fehlende Geld in erster Linie bei Steuerflüchtigen holen. Diejenigen, die mehr als 3 Mio. € ins Ausland verschoben, um sie dem Fiskus zu entziehen, sollten sogar ins Gefängnis. Jetzt wurde hinzugefügt: Gefängnis dann, wenn die ins Ausland geschaffte Summe nicht nur 3 Mio., sondern auch mehr als ein Drittel des Umsatzes des jeweiligen Unternehmens ausmacht. Es betrifft also nur „kleine“ Steuerflüchtlinge, nicht die „großen“. Man darf raten, wer zu letzteren gehört.
Der eigentliche Skandal dieses Sparpakets bleibt das Fehlen aller Maßnahmen, die Italien aus der gegenwärtigen Stagnation herausholen könnten. Stattdessen werden die bisher bereit gestellten Mittel zur Prävention von Erdrutschen und Überschwemmungen um 1 Mrd. € gekürzt. Es zeigt die Logik dieses Sparpakets. Dafür hebt es wichtige soziale Rechte, vor allem den Kündigungsschutz, gleich mit aus den Angeln.
Am Dienstagabend stimmte der Senat dem Sparprogramm mit 165 zu 141 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) zu. Die Regierung hatte die Abstimmung wieder mit der Vertrauensfrage verknüpft, anders kann sie gar nicht mehr regieren. Aus Brüssel kam bereits Zustimmung. Immerhin basiere dieses Sparprogramm nicht mehr auf leeren Versprechungen. Weiter wurde positiv vermerkt, dass die Regierung dem Grundsatz ausgeglichener Haushalte demnächst Verfassungsrang geben wolle. Der Abbau sozialer Rechte wird dort ebenfalls begrüßt.
Für den Dienstag, an dem der Senat über das neue Sparprogramm abstimmte, hatte der größte italienische Gewerkschaftsverband zum Generalstreik aufgerufen. Die Demonstrationen durch die italienischen Großstädte – von Mailand über Neapel bis Rom – waren imposant. Aber ihr Resultat bleibt ambivalent. Einerseits zeigen sie die ungebrochene Bereitschaft zum Widerstand. Andererseits ist die Opposition immer noch gespalten.