Erpressbar und erpresst
Gerne hätte ich unseren Lesern weitere haarsträubende und unappetitliche Geschichten über den italienischen Regierungschef erspart – noch dazu in Zeiten, in denen das Land wahrlich andere Sorgen als seine sexuellen Obsessionen hat. Doch ich kann es nicht. Denn auch die jüngste Geschichte zeigt, dass es nicht „nur“ um Sexskandale geht, sondern darum, dass sich der Ministerpräsident erpressbar machte und nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft auch tatsächlich massiv erpresst wurde.
Die Fakten: die Staatsanwaltschaft von Neapel hat Giampaolo Tarantini, pleite gegangener Unternehmer und koksender Lebemann, wegen Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung und Erpressung verhaftet. Geschädigter: Silvio B. Haftbefehl wurde auch gegen den im Ausland untergetauchten Valter Lavitola erlassen, einen zwielichtigen und Camorra-nahen Journalisten (den der Journalistenverband inzwischen ausgeschlossen hat).
Gegen Tarantini läuft schon länger ein Prozess wegen Förderung der Prostitution, weil er B.s römische Residenz „Palazzo Grazioli“ und seine Villa in Sardinien mit Frauen versorgte. Die neuen Anklagepunkte beruhen vor allem auf Abhörprotokollen, nach denen Tarantini, seine Ehefrau und Lavitola von B. hohe Geldsummen erhielten, damit sie über B.s Eskapaden die Klappe halten. Tarantini soll eine Barzahlung von 350.000 Euro sowie 20.000 Euro monatlich bekommen haben, und zwar über Lavitola, der einen Teil des Geldes selbst kassierte. Mitarbeiter des Premiers, u. a. seine persönliche Sekretärin, übergaben das Geld. Wie in schlechten Krimis erfolgte die Verabredung in plump kodierter Sprache: „Die Fotos sind fertig und können abgeholt werden“, sagte Sekretärin Brambilla, die die Geldübergabe bei ihrer Befragung inzwischen zugegeben hat, zu Lavitola. Insgesamt sollen ca. 850.000 Euro geflossen sein. Die Angeklagten und B. selbst leugnen die Zahlungen nicht, geben aber eine rührende Erklärung: „Ich half nur einer notleidenden Familie“, sagt B. Tarantini: „B. ist ein Wohltäter, der Menschen in Not hilft“. Seine ebenfalls angeklagte Gattin: „Er hat sich unserer Probleme angenommen. Er ist für uns wie ein Vater, ein Onkel, fast wie der Opa unserer Töchter“. Ähnlich Lavitola: B. habe Tarantini, „der schwer deprimiert war“, nur helfen wollen. Er selbst habe mit B.s Einverständnis einen Teil des Geldes einbehalten, damit T. „nicht alles auf einmal verplempert“.
Pech nur, dass die vermaledeiten Abhörprotokolle eine andere Sprache sprechen. Tarantinis Frau zu Lavitola (ihr Geliebter): „Ich möchte sein Gesicht sehen, wenn alle seine Schweinerein rauskommen würden!“. Lavitola zu ihr: „Ich werde ihn mit dem Rücken gegen die Wand drücken! Wir haben nichts zu verlieren, er aber alles“.
Für sie ist klar, dass sie den Regierungschef in der Hand haben. Für die Staatsanwaltschaft ebenfalls. B. soll mit Tarantini unzählige höchst kompromittierende Telefongespräche geführt haben: über bevorstehende „Lieferungen“, über die jeweiligen Vorzüge der Damen, über den Verlauf der amourösen Treffen. Ganz zu schweigen von den intimen Gesprächen B.s mit Marysthell, Barbara, Miriam, Roberta und wie sie alle heißen. Den abhörenden Beamten muss der Kopf gedröhnt haben. Mitte September will die Staatsanwaltschaft die „explosiven“ Abhörprotokolle freigeben. Man munkelt, dass auch diverse Gattinnen von Industriellen und anderen wohlhabenden Bürgern, denen T. ebenfalls einen „bevorzugten Zugang“ zum Ministerpräsidenten vermittelte, derzeit schlecht schlafen.
Nach Erkenntnissen der Justiz nutzte Tarantini seine Intimfreundschaft mit B. übrigens nicht nur zur Vermittlung von Sexgeschäften, sondern auch, um Unternehmern und Geschäftsleuten mit Posten und öffentlichen Aufträgen zu beglücken. Gegen Honorar, versteht sich.
Wie tief der Abgrund ist, zeigt ein am 24. 8. geführtes Telefonat zwischen B. und Lavitola, das die Zeitschrift „Espresso“ jetzt bekannt machte. Als Lavitola von den Ermittlungen gegen ihn erfahren hatte, rief er B. aus Sofia an und fragte: „Was soll ich machen? Soll ich kommen und alles klären?“. B.s knappe Antwort: „Bleib, wo du bist“. Zu dem Zeitpunkt bestand noch kein Haftbefehl gegen Lavitola, weswegen B.s Advokat die Sache für „strafrechtlich irrelevant“ erklärt. Dennoch: Der Ministerpräsident fordert jemanden, gegen den wegen schwerer Straftaten ermittelt wird, zum Untertauchen im Ausland auf.
Jeder Tag, den dieser Mann länger im Amt bleibt, ist eine Schande für Italien – und für ganz Europa.