Die Guten und die Bösen
„Alle Politiker sind Verbrecher“ ist die italienische Version der Ansicht, dass alle Politik „schmutzig“ ist. In dieser Allgemeinheit ist sie wohl überall falsch. In Italien hat sie den zusätzlichen Defekt, die Besonderheit des Berlusconismus zu verwischen. Welche die Journalistin Nadia Urbinati kürzlich (in der „Repubblica“ vom 4. 9.) so beschrieb:
„Eine Art der Politik, die auf der bewussten Verletzung des Rechts beruht oder die es so umbiegt, dass es die Zerstörung des Gemeinwohls zugunsten der Befriedigung von Privat-, Gruppen- oder Territorialinteressen ermöglicht“.
Aber auch die Konzentration auf diese Besonderheit enthält eine Gefahr: dass sich in ihrem Windschatten die Opposition „die moralische Frage“ nicht mehr selbst stellt. In der Meinung, schon deshalb zu den Guten zu gehören, weil die Anderen so offensichtlich die Bösen sind.
Dass dies leider ein Fehlschluss ist, muss gegenwärtig die PD, die größte italienische Oppositionspartei, erfahren. Und zwar angesichts eines Korruptionsfalls um den PD-Politiker Filippo Penati. Penatis politische Karriere begann in der Lokalpolitik. Zunächst war er Bürgermeister der vor den Toren Mailands liegenden Industriestadt Sesto San Giovanni, später wurde er Präsident der Provinz Mailand. Im Umfeld Norditaliens, in dem Lega und PdL Sieg auf Sieg einfuhren, wurde er für die PD zum Hoffnungsträger. So dass ihr Vorsitzender Bersani ihn 2009 sogar zum Leiter seines politischen Sekretariats berief.
Nun ist er ins Visier der Gerichte geraten. Die Hinweise verdichten sich, dass er in seiner Zeit als Bürgermeister von Sesto San Giovanni im Zentrum eines weit verzweigten Systems von Schmiergeldaffären stand. Unter seiner Ägide scheinen z. B. Baugenehmigungen auf einem ehemaligen Industriegelände nur gegen „Tangenti“ in Millionenhöhe erteilt worden zu sein. Dass er noch nicht in Untersuchungshaft kam, verdankt er allein der Tatsache, dass die Korruptionsdelikte teilweise verjährt sind. Auch wegen seiner späteren Tätigkeit als Provinzpräsident steht er unter Korruptionsverdacht. Im Sommer 2005 veranlasste er die Provinz Mailand, ein 15-prozentiges Aktienpaket der Autobahn Mailand – Serravalle zu einem weit überteuerten Ankaufspreis zu erwerben. Möglicherweise für Gefälligkeiten, welche der begünstigte Verkäufer ihm und seiner Partei leistete.
Das Stichwort ist hier „seine Partei“. Denn abgesehen davon, dass Penati seine Unschuld beteuert, verweisen er und einige seiner Fürsprecher diskret darauf, dass er niemals persönlich von derartigen Schmiergeldzahlungen profitiert habe, sondern eben „nur“ seine Partei. Da dies aber ebenfalls strafbar ist, wird gegen ihn nicht nur wegen Korruption, sondern auch illegaler Parteienfinanzierung ermittelt.
Man könnte sagen: Ein banaler Fall, über den die Gerichte entscheiden werden. Was den Fall weniger banal macht, ist die Art und Weise, mit der sich die PD-Führung zu ihm verhält – sie hat offenbar Schwierigkeiten, hier zu einer klaren Haltung zu kommen. Es dauerte Monate, bevor sich die zuständige Parteikommission dazu durchrang, ihn von seinen Rechten und Funktionen als Parteimitglied zu suspendieren (nachdem er sich davon selbst suspendiert hatte). Und sie wurde erst tätig, als die Gerichte offiziell gegen ihn zu ermitteln begannen. Den Verdacht, dass beim Ankauf des Aktienpakets für die Autobahn nach Serravalle nicht alles mit rechten Dingen zuging, gibt es schon seit 2005. Und bereits 2007 erschien ein Buch über das „System Sesto“ und Penatis Tätigkeit als dortiger Bürgermeister. Trotzdem berief ihn Bersani 2009 zum Leiter seines Sekretariats.
Inzwischen argumentieren einige PD-Vertreter damit, dass „die Anderen“ ja noch viel schlimmer seien. Womit sie sicherlich Recht haben. Trotzdem zeigen sie mit diesem Argument auch ihre fehlende Sensibilität für den Aufbruch, der in diesem Frühjahr Italien erfasst hat. Und in dem sich wieder viele Menschen, gerade auch aus der scheinbar so „unpolitischen“ jungen Generation, für Gemeinwohl und Legalität engagierten. Obwohl die PD nicht gerade das Zugpferd des Aufbruchs war, schien sie eine Zeitlang doch sein wichtigster politischer Nutznießer sein zu können. Jetzt zeigt sich, dass dies an die Bedingung ihrer eigenen Erneuerung geknüpft war. Gerade hieran wachsen wieder die Zweifel. Die PD – immerhin die größte Oppositionspartei – könnte eine politische Chance verspielen.