Eine private Angelegenheit
Gegen Gianpiero Tarantini wird wegen Erpressung ermittelt. Er war der Mann, der B. die Frauen zuführte, und wollte damit sein Glück (Geld, Ämter, öffentliche Aufträge) machen. Mitte September sind Teile der Telefonprotokolle zwischen ihm und B. sowie mit einigen ebenfalls abgehörten „Papi-Girls“ bekannt geworden. Es handelt sich – man glaubt es kaum – um ca.100.000 Abhörprotokolle die ca. zwei Jahre überdecken (2008-2009). Täglich, bis zu zwanzigmal am Tag, telefonierte B. mit seinem Kuppler, von dem er Ende September 2010 während einer Pressekonferenz mit Zapatero sagte: „Diesen Tarantini oder Tarantino kenne ich gar nicht“. Tarantini erpresste ihn um 800.000 €, was B. jetzt gegenüber den Justizbehörden damit erklärt, dass er damit nur einem „guten Freund in Not“ finanziell unter die Arme greifen wollte.
Die Staatsanwaltschaft hat einen Teil der Abhörprotokolle zur Veröffentlichung freigegeben. Passagen, die besonders obszön sind oder die Würde unbeteiligter Personen verletzen könnten, wurden zurückgehalten oder unkenntlich gemacht. Ob dazu auch B.s widerliche Zote über Angela Merkel gehört, wie manche Journalisten vermuten, wissen wir nicht und wollen es auch gar nicht wissen. Schon so ist das „Material“ eine schwer verdauliche – und deprimierende – Lektüre, die in brutaler Deutlichkeit zeigt, in welchen Händen sich Italien befindet.
Hier nur ein paar kurze Kostproben (die vulgärsten Passagen habe ich aus Respekt gegenüber unseren Leserinnen und Lesern – und auch mir selbst gegenüber – ausgelassen):
B. zu T. : „Gestern Abend standen 11 Schlange vor meinem Schlafzimmer. Ich habe nur 8 geschafft, mehr konnte ich nicht machen…Die hier gehen nicht weg, nicht mal wenn man mit Kanonen auf sie schießt … Das kann man verstehen, denn der Preis ist gut und Kost und Logis auch“ (bei besagter Pressekonferenz mit dem verdutztem Zapatero hatte B. feierlich erklärt: „Ich habe in meinem Leben noch nie eine Frau für Sex bezahlt“).
B. zu T.: „Heute Abend zwei für dich, zwei für mich. Dann tauschen wir sie aus“.
T. zu einem der Mädchen, das sich auf ein Treffen mit B. vorbereitet: „Zieh dir heute Abend ein Kleidchen an, aber ein extrakurzes…Und bitte kein Höschen, ich flehe Dich an, Schätzchen, tu es heute für mich…“.
B. stellt an T. genaue Anforderungen bezüglich der „Lieferungen“: Die Frauen sollen jung, sehr jung sein (ab 30 sind sie für ihn, den 75-Jährigen, „un po’ vecchiette“), zierlich, möglichst schwarzgekleidet und – aus Respekt gegenüber der bescheidenen Statur des Cavaliere, „nicht zu groß und ohne Absätze“.
Detailversessen pflegt sich hinterher B. mit T. über das Aussehen und die sexuellen Leistungen der Mädchen auszutauschen und preist sich selbst als allzeit bereiten Latin Lover an. Doch immer wieder, fast ängstlich und irgendwie pathetisch, fragt er T. : „Was hat sie gesagt? Wie fand sie mich?“. Und T., der gerissene Heuchler: „Sie war begeistert!“, „Sie sind alle von Ihnen hingerissen!“, „Wie machen Sie das bloß, Presidente??!“.
Auch die Mädchen – ist klar – singen ihm gegenüber Lobeshymnen auf seine ars amatoria. Im Gespräch mit T. kommen sie freilich aufs Wesentliche: „Wer zahlt? Er oder Du?“ Unter sich sprechen die lieben „Bambine“ vom Regierungschef als dem „vecchio rincoglionito“ (bereinigte Übersetzung für den Leser, der die Feinheiten der schönen italienischen Sprache nicht kennt: „debiler Alter“).
Wie krankhaft das Ganze ist, zeigt die Zeugenaussage einer der Mädchen über den Ablauf eines Bunga-Bunga-Abends. Da habe die PdL-Regionalrätin Nicole Minetti, als Nonne verkleidet, einen heißen Striptease vorgeführt. Am Ende des Auftritts geht B. mit einem Kruzifix in der Hand zu ihr, berührt sie damit an Kopf, zwischen den Beinen und an den Brüsten und spricht: „Der heilige Gott segne Dich“. Ob sich das Mädchen das Ganze ausgedacht hat? Es ist allerdings zu vermuten, dass dessen Phantasie dazu nicht ausreicht.
Ein trauriger, trostloser Fall. Seine Verteidiger sagen: seine „Privatangelegenheit“ Wenn der Mann aber Ministerpräsident eines krisengeschüttelten Landes ist und einem Callgirl sagt: „Weißt Du, Marysthell, ich möchte eigentlich die Tage mit meinen ‚Bambine’ verbringen, Ministerpräsident bin ich nur nebenbei“, wenn er sich die Mädchen dutzendweise mit der Staatsmaschine einfliegen lässt, wenn er von Ganoven und Prostituierten mit Beziehungen zu Mafia und Camorra erpresst wird, wenn er die Öffentlichkeit dreist und fortwährend belügt, dann handelt es sich um eine öffentliche und politische Angelegenheit.
Und was sagt die katholische Kirche? Anathema? Exkommunikation? Wenigstens Rücktrittsforderung? Nichts von alledem. Ihr Schweigen zu den neurotischen und frauenverachtenden Exzessen des Ministerpräsidenten ist – von einigen Ausnahmen abgesehen – ohrenbetäubend.