Bossis langsamer Abstieg
Stinkefinger und „pernacchie“ (laut Sansoni-Wörterbuch: „Furzähnliche Geräusche mit dem Mund“- ein entsprechendes Wort fehlt in der edlen deutschen Sprache) anstelle politischer Argumente, Hetze gegen illegale Migranten und faule Süditaliener, wüste Tiraden gegen das „diebische Rom“ (womit er die Zentralregierung meint, der er angehört), vulgäre Beleidigungen politischer Gegner. Das sind Markenzeichen des Lega-Chefs Umberto Bossi, die beim „padanischen Volk“ Norditaliens früher Begeisterungstürme entfachten. Früher. Denn die Zeiten haben sich geändert. Bossi ist nicht mehr der unumstrittene „Capo“, das Lega-Volk wird mürrischer. Gegen B. und „Roma ladrona“ vor allem, versteht sich, aber auch gegen den eigenen Parteiführer.
Nach dem Debakel bei den Kommunalwahlen im Mai, das nicht nur B.s Partei, sondern auch die Lega hart traf, rumort es an der Basis gewaltig. Schon auf dem traditionellen Jahrestreffen in Pontida zeigten sich erste Risse in der treuen padanischen Seele: statt Jubelrufe für den großen Chef gab es Geschimpfe gegen die Regierung und – früher unvorstellbar – gar ein Transparent mit „Maroni Ministerpräsident“, das direkt vor Bossis Nase gehalten wurde. Innenminister Maroni, bekannt für seine harte Hand gegen Migranten und Flüchtlinge, ist der stärkste Kontrahent von Bossi und verfügt über eine starke Truppe von Gefolgsleuten, zu denen aufstrebende Lega-Politiker wie Veronas Bürgermeister Tosi und der Regionspräsident von Venetien, Zaia, zählen. Sie suchen stärker die Konfrontation mit B. und – so munkelt man – basteln im Geborgenen an neuen Regierungskonstellationen. Ohne B. und Bossi.
Die Finanzkrise und das geplante Sparpaket der Regierung haben das Murren zur offenen Meuterei werden lassen. Der Protest – im Netz, aber auch auf Parteiveranstaltungen und vor der Presse – richtet sich vor allem gegen den geplanten „Solidaritätsbeitrag“ und die Auflösung kleiner Provinzen und Kommunen, die den im föderalistischen Norden stark ausgeprägten Lokalstolz tief verletzt. Auch Bossis Beteuerung, er persönlich habe gegen den Widerstand von B. und Tremonti stärkere Kürzungen im Rentenbereich verhindert, nutzten wenig. Seine Leute sind trotzdem sauer. Der ständige Spagat zwischen der Rolle des wortgewaltigen Populisten und der eines Mitglieds in B.s Regierung hat Bossis Autorität schwer angekratzt. Und die unerbittlichen, von ihm fast demonstrativ zur Schau getragenen Zeichen seiner Krankheit (vor sieben Jahren Schlaganfall), die sein Charisma früher eher verstärkten, wirken heute – verbunden mit dem Gestus des Machos – beinahe pathetisch. Mit seiner bisher wirksamsten Waffe, der Drohung mit der Sezession, versucht er, den padanischen Kampfgeist heraufzubeschwören: „Italien geht den Bach runter, wir müssen uns auf die Zeit danach vorbereiten, und das ist Padanien“.
Doch der alte Hetzer schwächelt und wirkt manchmal in seinem Schwadronieren orientierungslos. Als er im August seine traditionelle Tour in Norditalien absolvierte, musste er befürchten, dass zu seinen Auftritten mehr Protestierende als jubelnde Anhänger kommen, weshalb er kurzfristig einige absagte. Statt sich, wie früher, auf öffentlichen Plätzen zu zeigen, verschanzt er sich – abgeschirmt von Sicherheitsleuten – lieber in Hotels mit ein paar Vertrauten, um zigarrenrauchend gegen alle und jeden zu schimpfen: gegen die eigenen Ministerkollegen („Die sollen aufhören, einem auf den Sack zu gehen“, „Denen werde ich Beine machen“), gegen die Journalisten („Verbrecher, die müsste man mit Schlagstöcken traktieren“), gegen die Opposition („Casini ist ein Stück Scheiße“) und gegen ein internationales Komplott („Das sind doch Freimaurer, die unsere Banken an Merkel und Sarkozy verkaufen wollen“).
Was grotesk erscheint, ist ein weiteres Symptom für eine geschwächte, in sich zerrüttete, unverantwortlich handelnde Regierungsmehrheit, die sich an die Macht klammert und nicht bereit ist, im Interesse des Landes abzutreten und einen Neuanfang zu ermöglichen. Genau das Gegenteil von dem, was Italien in der gegenwärtigen Finanzkrise braucht. Der langsame aber unaufhörliche Abstieg der beiden alternden Anführer dieser unsäglichen Regierungskoalition, B. und Bossi, darf nicht zum Abstieg eines ganzen Landes führen.