Das Volk macht Politik
Aus Italien kommt ein neues Signal dafür, dass sich der frische Wind, der im Frühjahr die Verhältnisse zum Tanzen brachte, noch nicht gelegt hat. Im Sommer bildete sich eine Volksinitiative, um auch das sog. „Porcellum“(„Schweinegesetz“), das sich B. auf den Leib schneidern ließ, durch Volksentscheid aus den Angeln zu heben. Bis zum 30. September mussten die Protagonisten 500 000 Unterschriften sammeln, um den Volksentscheid zu erzwingen – was sie am vergangenen Freitag dem obersten Kassationsgericht übergaben, waren 1, 2 Millionen Unterschriften, von Tausenden von freiwilligen Helfern gewissermaßen im Handumdrehen gesammelt. Damit scheint fast sicher, dass dieses Referendum im nächsten Jahr stattfinden wird, es sei denn, die Parlamentsmehrheit zieht vorher das geltende Wahlgesetz freiwillig zurück, um so zu retten, was noch zu retten ist.
Das Referendum richtet sich vor allem gegen drei Kernstücke des noch geltenden „Porcellum“:
- Die undemokratische „Mehrheitsprämie“ wird abgeschafft. Indem diese Prämie dem Bündnis mit den relativ meisten Stimmen (auch dann, wenn es z. B. nur 35 % der abgegebenen Stimmen erhielt) 55 % der Parlamentssitze garantierte, zwang sie die Parteien dazu, schon vor der Wahl solche Bündnisse einzugehen und von vornherein alles ins Boot zu nehmen, was den Stimmenanteil irgendwie erhöhen könnte.
- Die Verpflichtung jedes Bündnisses, sich vor der Wahl auf einen Kandidaten für den Ministerpräsidenten festzulegen, wird abgeschafft. Die bisher geltende Regelung erlaubte es dem Wahlsieger, sich „als direkt vom Volk gewählt“ zu betrachten, was auch das hier geltende Vorschlagsrecht des Staatspräsidenten faktisch aushebelte.
- Das Recht der Wähler, bei der jeweiligen Partei, die sie wählen, eine Präferenz für diesen oder jenen Kandidaten auszusprechen, wird wiederhergestellt. Beim noch geltenden Wahlgesetz entschieden einzig die Parteibürokratien, wer in welchem Wahlkreis die jeweilige Partei vertritt. Was die Machtverhältnisse zwischen Parlament und Regierung zugunsten der letzteren verschob.
Man kann es auch so ausdrücken: Das geltende Wahlgesetz zwang Italiens politische Landschaft in das Prokrustes-Bett des „Bipolarismus“ (siehe die „Mehrheitsprämie“ und den daraus folgenden Zwang zur vorhergehenden Bündnisbildung), und es verschob – ganz populistisch – das institutionelle Gleichgewicht zugunsten des einen großen Leaders. Gegen beides richtet sich das Referendum,
Noch kann die Regierungskoalition tricksen. Die gegenwärtige Legislaturperiode läuft bis 2013, und gegenüber den von der Opposition kommenden Rücktrittsforderungen schwört B. Stein und Bein, sie auch voll ausschöpfen zu wollen. Aber in seiner Koalition erheben sich – insbesondere seitens der Lega – gewichtige Stimmen, die auf Neuwahlen schon im Jahr 2012 drängen. Auch mit dem Hintergedanken, dass diese dann noch auf der Grundlage des bestehenden Wahlgesetzes stattfinden müssten. Der Pferdefuß dabei ist allerdings das unübersehbare Stimmungstief, in dem sich gegenwärtig die Mitte-Rechts-Koalition befindet und aus dem sie sich innerhalb eines knappen Jahres nur mit Hilfe eines Wunders wieder herausarbeiten könnte. Sie steht also vor dem Dilemma Pest oder Cholera, Neuwahlen bald mit dem alten oder Neuwahlen später mit einem neuen Wahlgesetz. Das hat ihr das Volk mit dem neuen Referendum eingebrockt. Soll B. darauf hoffen, dass es wenigstens diesmal am Quorum scheitert? Die Hoffnung wurde schon im Frühjahr enttäuscht.