Angies Lächeln

Gemeinsame Pressekonferenz von Merkel und Sarkozy beim EU-Gipfeltreffen am 23. Oktober. Ein Journalist fragt: Wird B. die von der EU geforderten Maßnahmen zur Sanierung Italiens auch wirklich umsetzen? Beide zögern, schauen sich an, beginnen zu lächeln, auch die Presse amüsiert sich. Schließlich erklärt Sarkozy, die EU vertraue auf „das Verantwortungsgefühl aller institutionellen, politischen und wirtschaftlichen Kräfte Italiens“ bei der Lösung der Probleme.

Ganz Italien ist empört: „Man verlacht und demütigt uns!“, „Niemand hat das Recht, unser Land zu beleidigen!“. Nicht nur auf der Regierungsseite, die gleich die Gelegenheit ergreift, im Namen des Nationalstolzes von der eigenen Unzulänglichkeit abzulenken. .Auch die Opposition und alle Medien, von rechts bis links, stimmen in den Chor ein. Die Chefin des Unternehmerverbandes Marcegaglia echauffiert sich: „Es ist nicht hinnehmbar, dass sich Merkel und Sarkozy erlauben, über ein so großartiges Land wie das unsere zu kichern…“. Sogar Staatspräsident Napolitano fühlt sich genötigt, das Lächeln höchst offiziell als „unangenehm und unangebracht“ zurückzuweisen.

Nun, wenn sich zwei Regierungschefs über Italien – oder irgendein anderes Land – öffentlich lustig machen würden, fände ich das auch nicht witzig. Also habe ich mir das Video genauer angeschaut. Mein Fazit: Ich bin mir nicht sicher, dass das Lächeln in Italien richtig interpretiert wurde. Ich nehme wirklich nicht jedes Wort von Regierungssprecher Seifert für bare Münze, doch in diesem Fall ist seine Erklärung plausibel: „Merkel und Sarkozy tauschten ein Lächeln aus, weil eine Unsicherheit darüber entstanden war, wer zuerst auf die Frage antworten sollte“. Zumal es unwahrscheinlich ist, dass zwei hartgesottene Profis wie Merkel und Sarkozy sich öffentlich so undiplomatisch über einen anderen Regierungschef oder gar ein ganzes Land lustig machen. Das mag B.s Stil sein, aber unter Regierungschefs ist es sonst – gottlob – nicht üblich. Was Merkel und Sarkozy über B. wirklich denken und ob sie ihm vertrauen, steht auf einem anderen Blatt. Aber wenn überhaupt, ist dies eher der diplomatisch geschliffenen Antwort des Franzosen als dem Lächeln der beiden zu entnehmen.

So ist die eigentlich interessante Frage: Warum sind in Italien alle so schnell davon überzeugt, dass B. und mit ihm Italien von Merkel und Sarkozy öffentlich verhöhnt wurden? Ich versuche eine Antwort (und bin mir bewusst, dass Verallgemeinerungen immer fragwürdig sind): Das Selbstwertgefühl der Italiener ist – besonders seit B. – nicht stark entwickelt. Deutschland lieben sie nicht, aber bewundern seine Effizienz und Leistungsfähigkeit (ich weiß noch, wie meine Mutter reagierte, wenn ich von Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit oder auch nur Alltagsproblemen in Deutschland erzählte: „Ach was! In Deutschland doch nicht!“). Gegenüber unseren romanischen Vettern, den Franzosen, mag es eher alte Ressentiments und Konkurrenzgefühle geben.

Unser schwaches Selbstwertgefühl zeigt sich darin, dass wir schnell beleidigt sind – gerade dann, wenn wir ahnen, dass die Kritik berechtigt ist. Kein Land urteilt mutiger und schonungsloser über sich, wenn es z. B. um Mafia, Korruption, Ineffizienz und sonstige Übel geht. Aber wir tun uns schwer, wenn die Kritik „von außen“ kommt – oder auch nur von außen kommen könnte. Gerade weil wir wissen, dass das Bild von B.s Italien im Ausland verheerend ist, sind wir wütend und gekränkt, wenn wir argwöhnen, die deutsche „Klassenbeste“ und der arrogante Franzose lachen über B. (und uns), und dann auch noch im Duett.

Aber es gibt Wichtigeres, als uns gemeinsam mit der Regierung über Angies Lächeln aufzuregen. Zum Beispiel wenn das „andere Italien“ mit einer Stimme sprechen würde. B.s Trompetenstoß „Gemeinsam gegen die Verhöhnung Italiens!“ ist eine weitere populistische Falle. Die Überwindung des bankrotten Berlusconismus – und nicht ein künstlich wieder belebtes und aufgeplustertes „Wir-Gefühl“ –, das liegt im nationalen Interesse.