Der seltsame Sinneswandel
„Es kommen nur Neuwahlen in Frage, und zwar so schnell wie möglich!“.
So B. noch am vergangenen Mittwoch, also vor drei Tagen. Wobei er sich sich als Verfechter der Demokratie gebärdete: Parteien, die bei der letzten Wahl verloren hätten, könnten nicht auf einmal in der Regierung sitzen. Das sei undemokratisch! Seine plötzliche Liebe für demokratische Spielregeln entsprang der Hoffnung, noch eine Weile – wenn auch nur geschäftsführend – Regierungschef zu bleiben. Und – wer weiß – vielleicht im Wahlkampf in ein paar Monaten zum ultimativen Angriff gegen Verfassung, Justiz und freie Presse blasen zu können. Umsonst drängten ihn auch engste Vertraute, wie Staatssekretär Gianni Letta und PdL-Koordinator Verdini, sich endlich der dramatischen Realität zu stellen und den Weg für eine „Regierung der nationalen Rettung“ freizumachen.
Das war noch am Mittwoch. Am Donnerstag verkündete er auf einmal, eine Übergangsregierung sei „unausweichlich“, und gegen Mario Monti, den von ihm herzlich gehassten ehemaligen EU-Wettbewerbskommissar, habe er nichts einzuwenden. Er wolle schließlich nicht für den Staatsbankrott verantwortlich gemacht werden. Wer allerdings glaubt, er habe plötzlich Vernunft angenommen und begonnen, so etwas wie Verantwortung für das Land zu spüren, kennt B. nicht. Was ihn bewegt, sind ausschließlich seine persönlichen Interessen und Sorgen. Sie waren der Motor für seine politische Karriere und für sein Sich-Festkrallen an der Macht. Das Schicksal Italiens war ihm immer und ist ihm auch weiterhin schnuppe. Damit begründete er ja auch gegenüber seinem Koalitionspartner Bossi seine Weigerung, zurückzutreten, wie Bossi mit bemerkenswerter Offenheit berichtete: „Ich habe Angst vor den Richtern und um meine Unternehmen“.
Hier liegt auch die Antwort auf die Frage, was seinen Sinneswandel auslöste: Am Donnerstag ist sein Mediaset-Imperium so gewaltig an der Börse eingebrochen, dass Confalonieri, B.s Mediaset-Chef und engster Vertraute, ihn in Rom aufsuchte und ihm mit drastischen Worten düstere Szenarien vorstellte. Es sei undenkbar, dass das Unternehmen noch zwei oder drei Monate lang – d.h. bis zu Neuwahlen – einem solchen Druck standhalten könne. Es müsse sofort was passieren, oder er würde seinen Kindern kaum noch etwas vererben können (sein Imperium, das einmal 10 Mrd. € wert war, soll heute „nur“ noch 2 Mrd. wert sein). Ein Anruf von Ennio Doris, Teilhaber und Aufsichtsratsvorsitzender von B.s Finanzunternehmen Mediolanum, führte am gleichen Tag zu einem ähnlichen Ergebnis.
Das saß. Steht Italien am Abgrund, oder befindet es sich – wie die Confindustria-Chefin Marcegaglia präzisierte – schon mittendrin, kann B. ruhig warten. Wenn allerdings Mediaset und Mediolanum wackeln, dann ist schnelles Handeln angesagt. Auch wenn es Erzfeind Mario Monti ist, der dabei zum Zuge kommt.
Er ist in die Politik gegangen, um sich dem Zugriff der Justiz zu entziehen und seine persönlichen Geschäfte zu sichern. Die gleichen Motive bestimmten sein ganzes Handeln als Regierungschef und steuern sein Handeln auch jetzt, wo er von der politischen Bühne abtreten muss. Italien und die Italiener, die seine Herrschaft mehrheitlich ermöglichten, zahlen dafür einen immens hohen Preis. Aber auch Europa und die Europäer, die sein Treiben bis vor kurzem als lustige Posse und inneritalienische Schrullen verharmlosten, erhalten jetzt die Rechnung.