12. November – Tag der Befreiung

Es sind, glauben wir, die orthodoxen Christen, die sich zu Ostern zurufen: „Er ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Fast mit gleicher Inbrunst möchte man sich heute, am Morgen des 13. November 2011, nach einem 17-jährigen Alptraum zurufen: „Er ist zurückgetreten! Er ist wahrhaftig zurückgetreten!“ Und diesmal (vielleicht!) ohne Wiederkehr.

Es war Staatspräsident Napolitano, der ihn matt setzte. Indem er ihm vergangenen Mittwoch – nachdem B. im Parlament seine Mehrheit verloren hatte – das Versprechen abrang, sofort nach Verabschiedung des Sparprogramms zurückzutreten. Und der dann die beiden Kammern, Senat und Parlament, zur höchsten Eile antrieb, so dass diese schon am Nachmittag des 12. November Vollzug melden konnten. Da konnte B. nicht mehr zurück.

Was hatte er in den letzten Tagen nicht noch alles versucht. Er verkündete, er wolle den „Verrätern in die Augen schauen“, die ihm jetzt die Gefolgschaft verweigerten, und sie einzeln vorladen. Aber das Gefühl, auf einem schnell sinkenden Schiff zu sitzen, hatte sich schon zu sehr verbreitet, und entsprechend waren die Preise dafür, dass man an Bord blieb, gestiegen: Es gelang B. noch, ein paar Abgeordnete wieder umzudrehen, aber wie sich schon am Mittwoch herausstellte, nicht genug.

Dann kamen B.s intellektuelle Helfershelfer, Denksklaven und Schreiberlinge wie Ferrara und Sallusti, die noch im letzten Moment das Steuer herumreißen wollten, indem sie B. zum Opfer einer internationalen Verschwörung erklärten. In „Radio London“ ließ Ferrara verlauten, es gebe eine „deutsch-französische Verabredung“, Italiens in den Abgrund zu treiben. Als es klar wurde, dass B. nicht mehr zu halten war, lautete die Parole „Neuwahlen“. Auf einer eilig einberufenen Protestversammlung in Mailand wetterten sie gegen „Merkozy“ und gegen das „internationale Finanzkapital“, das die Demokratie in Italien und in der ganzen Welt abschaffen wolle. Von „weißem Putsch“ war die Rede und davon, dass Monti ein Agent der Geldspekulanten sei. „Revolutionäre“ Sprüche aus einer Ecke, aus der man Derartiges bisher noch nie gehört hatte. Und die den Hang vieler Italiener zum Viktimismus und zu Verschwörungstheorien bedienen sollen.

Wahr ist, dass es nicht das Volk war, das B. wegen seiner politischen Unfähigkeit, seiner kriminellen Machenschaften, seiner Angriffe auf die demokratischen Institutionen und seiner Aushöhlung von Legalität und Moral aus dem Amt jagte. Es war der Vertrauensverlust bei den internationalen Partnern und bei der vereinigten Macht der Geldanleger (und auch Spekulanten), der Italien und damit ganz Europa unter immensen Druck setzte und eine dramatische Wende erzwang. Doch der Vertrauensverlust kam nicht über Nacht. Er war zwar der entscheidende Rammbock, der die Festung Berlusconi zum Einsturz brachte. Aber sie zeigte schon seit langem Risse. B. hat nicht nur die Mehrheit im Parlament, sondern zuvor auch im Volk verloren – in dem Volk, das ihn vor über drei Jahren mehrheitlich noch einmal zum Ministerpräsidenten gewählt hatte. Ein politisch und moralisch maroder Regierungschef und ein zusammengekaufter unfähiger Haufen im Parlament, das wurde von der internationalen Gemeinschaft und den Finanzmärkten genau registriert. Das, und kein Komplott von „Merkozy plus Finanzkapital“, hat Italien ins Desaster geführt und das Ende von B.s Regime erzwungen.

So war B.s Ende real und symbolisch zugleich. Während das Volk – von dem B. immer behauptet hatte, dass es ihn „liebt“ – seinen Abgang auf dem Platz vor dem Palast des Staatspräsidenten feierte, kam der große Showman klammheimlich durch die Hintertür. Und verließ ihn auf dem gleichen Wege. Vor dem Quirinal hatte sich viel Volk versammelt, es war friedlich, aber in ausgelassener Silvesterstimmung, und verharrte dort bis zur Nachtstunde. Da sage noch jemand, dass die Italiener kein Kulturvolk seien: Mitten unter den Leuten bauten sich ein junger Dirigent, eine Gruppe von Musikern und ein Chor auf, und unter dem Jubel der Umstehenden stimmten sie das „Halleluja“ von Händel an