Elegie auf Fiat

Vor wenigen Tagen schloss das sizilianische Fiat-Werk Termini Imerese seine Pforten, der dort produzierte Lancia Ypsilon wird ab sofort in Polen montiert. Die Zukunft der 1600 Beschäftigten ist ungewiss. Bis zum Jahresende gehen sie in „Cassa Integrazione“, eine Art Kurzarbeitergeld. Anschließend gibt es für einige von ihnen die vage Hoffnung, in ein neues Arbeitsverhältnis übernommen zu werden. Eine Firma namens Dr Motors, die eigentlich Motoren produziert, aber in die Autoproduktion einsteigt, zeigt „Interesse“. Für andere bleibt das Nichts oder die Aussicht auf Frühverrentung. Die Belegschaft wehrte sich verzweifelt, die Szenen, die sich vor dem Werkstor abspielten, waren herzzerreißend.

Als das Werk Termini Imerese 1970 eröffnet wurde, war Fiat nicht nur ein etablierter Automobilproduzent, sondern auch die Speerspitze sozialer Innovation. Allerdings nicht dank einer weitsichtigen Konzernspitze, sondern dank einer Bewegung, die damals von den Belegschaften in den großen Fiat-Werken des Nordens – v. a. im Turiner Mirafiori-Werk – ausging. Dort hatte eine neue Generation von Arbeitern Einzug gehalten, deren zentrale Figur nicht mehr der klassische Facharbeiter, sondern der meist aus Süditalien zugewanderte Angelernte war. Ihn stellte die Unternehmensführung an die tayloristisch organisierten Montagebänder, die zu jener Zeit als Inbegriff arbeitsorganisatorischen Fortschritts galten.

Begünstigt durch eine gute Konjunktur und mit hoher Konfliktbereitschaft begannen die Fiat-Arbeiter, vor allem in Turin (Mirafiori), für ein alternatives Konzept von Industriearbeit zu kämpfen: bessere und egalitärere Löhne, gesündere Arbeitsbedingungen, befriedigendere und weniger zerstückelte Arbeitsinhalte. Als ihre Sprecher gegenüber der Unternehmenshierarchie wählten sie gleich am Arbeitsplatz sog. „Delegierte“, ein organisatorisches Instrument, mit dem sie die traditionelle Spaltung der Gewerkschaften zeitweilig überwinden konnten. Damit entstand eine Bewegung, deren Zielsetzungen auch die gesellschaftspolitische Ebene erreichten. Unter ihrem Druck verabschiedete 1970 das Parlament ein „Statut zum Schutz der Freiheit und der Würde der Arbeitnehmer“. Und die Delegiertenbewegung versuchte, zur Überwindung der Nord-Süd-Spaltung Einfluss auf die unternehmerische Investitionspolitik zu nehmen: Im Norden streikten Fiat-Arbeiter für die Eröffnung von Fiat-Werken im Süden. Und zwar durchaus mit Erfolg, was auch daran lag, dass die Fiat-Führung im Süden auf hohe staatliche Fördermittel und friedlichere Belegschaften hoffen konnte.

Lang ist’s her, viel ist inzwischen geschehen: Fiat automatisierte, viele Montagebänder, die sich als Konfliktherde erwiesen hatten, wurden wieder abgebaut. Die Autobranche geriet in eine weltweite Überproduktionskrise. Die Fiat-Führung beging schwere Managementfehler: Ihr Versuch, in Schwellenländern Fuß zu fassen, hatte nur in Brasilien Erfolg. Sie betrieb eine verfehlte Diversifizierungspolitik (Versicherungen, Banken, Kaufhausketten, Flug, Touristik usw.). Im Kernbereich Auto investierte sie zu wenig in Forschung und Entwicklung; die Produktpalette veraltete. Im Autobereich sank ihr Marktanteil in Italien von 60 (1986) auf unter 30 % (heute), in Europa, wo sie 1984 noch Marktführerin war, auf heute knapp 7 %. Inzwischen steht dem Fiat-Management das Wasser bis zum Hals.

Kein Wunder, dass Fiat zu jedem Strohhalm greift. Eine Allianz mit Chrysler ermöglicht es, den nordamerikanischen gegen den europäischen Standort auszuspielen. Osteuropa lockt mit Arbeitskräften, die billig und qualifiziert zugleich sind. Mit beidem kann man die Belegschaften der zu teuren und unproduktiven italienischen Werke erpressen: Entweder sie stimmen dem Abbau ihrer tariflichen Errungenschaften und Rechte zu, oder die Produktion wird verlagert (in Mirafiori durfte die Belegschaft über eine Verlagerung nach Polen in diesem Jahr sogar abstimmen). Da einige Richtungsgewerkschaften erpressbarer sind als andere, schließt die Unternehmensführung nur noch mit ihnen Tarifvereinbarungen ab und bestraft die weniger erpressbaren mit Unternehmensausschluss (so geschah es jetzt der FIOM, der größten italienischen Gewerkschaft im Metallbereich). Soeben teilte der Vorstand mit, dass für Fiat ab Januar 2012 überhaupt kein Tarifvertrag mehr gilt – nachdem er schon vor Monaten vorsorglich aus dem Verband der Metallarbeitergeber ausgetreten war. Werke im Süden wie Termini Imerese werden geschlossen. Es ist ein Amoklauf.

Fiat zeigt: Die Auflösung sozialer Stabilisatoren, die unter B. begann, hat inzwischen eine Eigendynamik, die sich auch nach seinem Rücktritt fortsetzt. Unternehmensverbände verlieren ihre wichtigsten Mitglieder, Gewerkschaften werden entmachtet, Tarifverträge zerrissen, Belegschaften erpresst. Der Süden wird wieder sich selbst überlassen. Während die Regierung Monti versucht, Italiens Finanzkrise in den Griff zu bekommen, läuft ihr die Zeit davon.

Und die Firma Dr Motors, die vielleicht das ehemalige Fiat-Werk in Termini Imerese übernimmt, baut Autos in chinesischer Lizenz.