Rassistische Gewalt
Am 10. Dezember steckt in der Turiner Peripherie eine entfesselte Menschenmenge ein Roma-Camp in Brand, nachdem ein junges Mädchen erzählt hatte, zwei „Zigeuner“ hätten sie vergewaltigt – alles erfunden, wie sie später zugibt. Sie hatte zum ersten Mal Sex mit ihrem Freund gehabt und fürchtete sich nun vor ihren Eltern. Die Lüge, es seien „Zigeuner“ gewesen, war ja so plausibel – die Leute hat es sofort überzeugt. Man weiß ja, dass Zigeuner stehlen, vergewaltigen und Kinder rauben. Also zündet man „zur Strafe“ die ganze Siedlung an, billigend den Tod der Bewohner – Männer, Frauen, Kinder – in Kauf nehmend. Es ist purer Zufall, dass keiner umkommt. Nachher heißt es, „eine friedliche Demonstration lief aus dem Ruder“.
Drei Tage später in Florenz: Ein Neonazi feuert auf senegalesische Marktverkäufer. Nachdem er zwei Senegalesen erschossen und fünf schwer verletzt hat, erschießt er sich kurz vor seiner Gefangennahme selbst. Der Täter ist in der rechtsextremen Szene fest verankert, verbreitet im Netz schon lange seinen Rassenhass und besitzt einen Waffenschein, obwohl er der Polizei bekannt ist. Er schießt nicht wild um sich, sondern sucht seine Opfer gezielt aus: Zwei Mal hintereinander fährt er auf Wochenmärkte, wo afrikanische Migranten ihre Verkaufsstände haben, und richtet nur gegen sie seine Waffe. Es ist eine rassistische Hinrichtungsaktion, genauso wie die Morde durch die so genannte Zwickauer Terrorzelle. Nachher heißt es, „ein Psychopath“ sei „ausgerastet“.
Einzeltaten von Verrückten? Aus dem Ruder laufende Emotionen empörter Bürger? Der Imam von Florenz sieht es anders: „Dieser Mord ist Frucht einer bestimmten Politik, die seit zehn Jahren in Italien Hass, Faschismus und Rassismus verbreitet“. Und der Vertreter der senegalesischen Community: „Seit 8-10 Jahren erleben wir eine Politik des Hasses, sogar Regierungsvertreter durften im Fernsehen ungehindert gegen die Migranten hetzen. Das soziale Klima wurde vergiftet.“ Sie haben leider recht. Die Gewaltexzesse der letzten Tagen reihen sich ein in eine lange Serie von rassistischen Übergriffen gegen Migranten, in erster Linie gegen Roma und Afrikaner.
Die Brandstifter von Turin, der Mörder von Florenz, das Zwickauer Trio: sie alle fühlen sich legitimiert von politischen Kräften, die Fremdenhass, Rassismus und menschenverachtende Diskriminierung offen auf ihren Fahnen schreiben. In Italien sind es nicht „nur“ Randgruppen, sondern auch eine Volkspartei wie die Lega Nord, die unter Berlusconi jahrelang mitregierte.
Der Staatspräsident, der Integrationsminister und zahlreiche weitere Vertreter von Politik und Institutionen haben die Gewaltakte in Turin und Florenz scharf verurteilt. Genauso scharf müssten sie auch deren geistige Väter und Anhänger „aus der Mitte der Gesellschaft“ verurteilen. Integrationsminister Riccardi, der zuerst in den Nachrichten einen eher lauwarmen „Versöhnungsappell“ von sich gab, wurde später bei einem Besuch des verwüsteten Roma-Camps deutlicher und erklärte, „auch Worte können Waffen sein“. Das war an die Adresse der Lega gerichtet, die übrigens seinen Besuch als „unangebracht“ kritisierte. Eine deutliche Sprache ist jetzt nötiger denn je. Rassismus ist in einer zivilisierten Gesellschaft nicht tolerierbar. Und noch weniger, dass er von im Parlament vertretenen Parteien gerechtfertigt oder gar geschürt wird. Der demokratische Staat und die Bevölkerung müssen die Minderheiten wirksam schützen. Gerade jetzt, mitten in der schweren Finanzkrise, die viele Menschen ärmer macht und verunsichert, sind konkrete Schritte für die Stärkung der Rechte von Minderheiten nötig. Vor kurzem appellierte Staatspräsident Napolitano an Politik und Parlament, den in Italien geborenen Migrantenkindern die Staatsbürgerschaft zu geben und das geltende „Jus sanguinis“ durch eine modernere Gesetzesgebung im Sinne eines „Jus soli“ zu ersetzen. Während vom Terzo Polo bis zu PD, IdV und SEL Zustimmung kommt, äußert sich B.s PdL zurückhaltend bis ablehnend. Und die Scharfmacher der Lega drohen mit „Barrikaden“.
Die große Mehrheit der Bürger von Florenz hat nach den Mordanschlägen Farbe bekannt: Zum Zeichen der Trauer blieben Läden und Märkte geschlossen. Menschen legten am Tatort Blumen nieder und suchten Kontakt zu den Afrikanern. Die Migranten selbst erheben ihre Stimme: Ihr Koordinierungskomitee rief zu einer nationalen Demonstration am 17. Dezember in Florenz auf. Mehr als 10 000 Bürgerinnen und Bürger nahmen an ihr teil.