Silvester in Cortina
Wenn Sie schon immer davon geträumt haben, einen BMW, einen Porsche oder gar einen Ferrari zu besitzen, Ihre Finanzen das aber nicht zulassen, fahren Sie nach Cortina d’Ampezzo, dem alpinen Winterparadies der Reichen und Schönen in Italien. Dort werden Sie lernen können, wie es doch zu schaffen ist. Auch die Finanzbehörde fuhr vor ein paar Tagen hin: 80 Steuerfahnder tauchten dort am Morgen des 31. Dezember auf und besuchten den ganzen Tag über Hotels, Restaurants und Geschäfte. Manche blieben sogar bis nach Mitternacht, als schon das neue Jahr mit Feuerwerk begrüßt wurde.
Ihre bloße Anwesenheit wirkte für die örtliche Wirtschaft Wunder: In vielen Geschäften erhöhte sich der Umsatz im Vergleich zum 31. Dezember 2010 auf das Vierfache! Dennoch waren nicht alle zufrieden. Statt sich beispielsweise über den kleinen örtlichen Wirtschaftsboom zu freuen, sprach der der Bürgermeister von einer „Polizeistaatsaktion“. Auch die PdL, die in der früheren Berlusconi-Regierung den Finanzminister stellte, erhob ihre Stimme: nicht etwa, um der Finanzbehörde zu ihrem erfolgreichen Einsatz zu gratulieren, sondern um ihn als „Propagandacoup“ zu verurteilen (so Fabrizio Cicchitto, PdL-Fraktionsvorsitzender der Abgeordnetenkammer).
Obwohl die Blitzaktion doch eigentlich sehr hilfreich war, um zu zeigen, wie die Dinge in Italien laufen. Denn bei der Gelegenheit wurden auch die Luxuskarrossen (mit über 185 PS) überprüft, die vor den Restaurants und Hotels parkten. Zu ihren Besitzern müssen laut Einkommensteuererklärung wahrhaft tüchtige Sparer gehören, die es trotz eines Einkommens, das sie als sehr bescheiden deklariert hatten, schafften, sich einen Lamborghini, Mercedes, Maserati oder Ferrari zu kaufen. Der Abgleich der Daten durch die Finanzbeamten ergab, dass 58 der Glücklichen im Jahre 2010 angeblich weniger als 50.000 Euro, 42 sogar weniger als 30.000 Euro verdienten.
Die tüchtigen Sparer mit Faible für Luxuswagen und noble Touristenorte sind Steuerhinterzieher. Sie gehören zu jenem Heer von „Furbi“ (Schlaumeiern), die in Italien seit jeher keine Steuern zahlen. Mit Hilfe einer Gesetzgebung, die es nie schaffte, das Phänomen zumindest auf den europäischen Durchschnitt zu drücken, und mit dem Segen eines Teils der Politik. „Ich fühle mich moralisch legitimiert, Steuern zu hinterziehen“, hatte Berlusconi schon am 17. 4. 2004 erklärt und sich zum Anführer derjenigen gemacht, die den Staat um seine Ressourcen betrügen.
Die Steuerhinterziehung hat in Italien eine erheblich größere Dimension als in anderen europäischen Ländern. Man schätzt, dass ca. 18% des BSP der Besteuerung entzogen werden. Mag sein, dass der Blitzbesuch der Steuerfahndung in Cortina auch auf Medienwirksamkeit setzte und propagandistische Absichten verfolgte. Doch uns scheint, das Recht liegt trotzdem ganz auf der Seite der Kontrolleure – und nicht auf der Seite der Steuerbetrüger. Die Finanzbehörde tat gut daran, ihre Beamten in Marsch zu setzen. Ebenso wie sie jeden Versuch zurückweisen sollte, solche Aktionen zu kriminalisieren, und wie sie die Kontrolle auch auf andere Bereiche potenzieller Steuerhinterziehung ausdehnen sollte. Die Monti-Regierung wird gut daran tun, die Steuerhinterziehung mit allen Mitteln zu bekämpfen, weil die Wiedergeburt Italiens auch von der Steuergerechtigkeit abhängt.
„Alle sind verpflichtet, zu den öffentlichen Ausgaben ihren finanziellen Möglichkeiten entsprechend einen Beitrag zu leisten“, so Artikel 53 der italienischen Verfassung. „Alle“ – ohne Ausnahmen und proportional zu ihren Einkommen. Auch die glücklichen Touristen in Cortina mit ihren PS-starken Autos.