Kulturrevolution von oben?
Nach Berlusconis Rücktritt schrieben wir: Nun muss sich Italien auch vom Berlusconismus befreien. Und meinten damit nicht nur große Steuerflüchtlinge, die ihre Millionen ins Ausland schaffen, sondern auch die tausend Formen „kleiner“ Korruption und Steuerhinterziehung, die zum italienischen Alltag gehören. Das gehe wohl nur mit einer „Kulturrevolution“, und zwar „von unten“. Da wir aber gleichzeitig meinten, dass in Berlusconia der Fisch auch gewaltig vom Kopf her stank, fehlte es unseren Überzeugungen etwas an Kohärenz.
Die italienische Politik belehrt uns vielleicht eines Besseren. Denn was Monti zurzeit versucht, ist eine „Kulturrevolution von oben“. Allerdings mit Mitteln, die manchem Menschenfreund orwellianisch vorkommen mögen: Computer-gestützt und mit polizeilicher Ausspähung. Schon die „Blitz“-Kontrollen der letzten Wochen ließen lokale Geschäftsleute und PdL-Politiker über „polizeistaatliche Methoden“ lamentieren, denn die Finanzpolizei fiel wie die Heuschrecken in Orte der High Society ein, um in Bars und Boutiquen Quittungen und Kassenbestände zu überprüfen. Jetzt soll alles noch feinmaschiger werden. Denn die Finanzaufsicht hat sich mit dem Zugriff auf alle größeren Geldtransaktionen und elektronischer Vernetzung ein Instrument verschafft, um den individuellen Lebensstil aller Bürger zu durchleuchten, insbesondere im Hinblick auf den sog. „Luxuskonsum“: vom Superauto über die Kreuzfahrt bis zur Jacht und zum Aufenthalt im Wellness-Zentrum.
Das Zauberwort heißt „Redditometro“ (Einkommensmesser), der 22 Millionen Familien erfassen soll: Aufgrund von 100 Ausgaben-Items, die unter 7 Kategorien (Wohnung, Transportmittel, Versicherungen, Ausbildung, Rekreation, Investitionen, sonstige Ausgaben) subsumiert sind, werden die Familien auf 11 hypothetische Lebensstil-„Typen“ verteilt, die anschließend mit den von ihnen deklarierten Einkommen verglichen werden. Wo sich Ungereimtheiten ergeben (z. B. beim berühmten Ferrari-Fahrer aus bürgerlichem Hause, der sich für arm wie eine Kirchenmaus erklärt), wird nachgeforscht.
Wobei es das Ziel der angeblich nur „technischen“ Monti-Regierung nicht nur ist, Steuersünder zu ertappen. Sie will ganz pädagogisch eine „Veränderung der Psychologie“. Zum einen indem sie bei den Überprüfungen mit offenen Karten spielt: Der Bürger soll wissen, was an seinem Konsumverhalten kontrollrelevant ist – in der Hoffnung, dass er dies nicht nur dazu benutzt, um in Zukunft schlauer zu hinterziehen, sondern dass er dadurch auch steuerehrlicher wird. Zum anderen, indem sie den Bürgern in Aussicht stellt, ihre Steuerlast in dem Maße zu verringern, wie sie steuerehrlicher werden. Schon 2011, so Monti, habe der italienische Staat durch den Kampf gegen die Steuerhinterziehung zusätzliche 12 Milliarden € eingenommen, weshalb jetzt bei den unteren und mittleren Einkommen die Steuerlast ein wenig verringert werden könne.
Die alte Kombination von Zuckerbrot und Peitsche wird moralisch ausgeweitet. Für Steuerehrlichkeit gibt es Zuckerbrot in Form von Steuersenkungen. Die Bestrafung von Steuerhinterziehern wird nicht nur erhöht, sondern sie werden jetzt auch moralisch an den Pranger gestellt: Sie betrügen „den Staat“ und die anderen Steuerzahler. Auch der Aspekt der Gerechtigkeit wird nicht übersehen, denn an der Erfahrung, dass man die Kleinen hängt, die Großen aber laufen lässt, scheiterten schon manche Volkserzieher. So gehört auch die Jagd auf „große“ Steuersünder zu Montis Programm, z. B. auf Unternehmen, die auf diesem Gebiet wahre Künstler sind. Den Fachleuten um Monti traut man zu, ihnen gewachsen zu sein.
B. verkündete einmal (in einer Pressekonferenz), angesichts der Höhe der Steuern fühle er sich moralisch zur Steuerhinterziehung legitimiert. Womit er als Populist bei vielen Italienern offene Türen einrannte. Der Anti-Populist Monti dreht das Argument um: Er fordert von den Bürgern Steuerehrlichkeit, damit für alle die Steuern gesenkt werden können. Und versucht eine „Kulturrevolution von oben“, zu der man ihm nur die Daumen drücken kann.