Die Zerreißprobe (1)
Monti ist für acht Tage Richtung Fernost entschwunden. Er will die dortigen Regierungen überzeugen, dass Italien wieder kredit- und investitionswürdig ist.
Er hinterlässt ein Land in Zwietracht. Die Zerreißprobe – von den einen befürchtet, von anderen erhofft – ist da. Sie könnte die Gewerkschaften und die mit ihnen eng verbundene PD ins Chaos stürzen und vielleicht sogar die Notkoalition der die Regierung tragenden Parteien sprengen. Erstmals sprach Monti von der Möglichkeit seines Rücktritts.
Nachdem seine Regierung den Staatshaushalt durch rigides Sparen und Steuererhöhungen auf Entschuldungskurs gebracht hat, will sie nun das Land auch wieder auf den Wachstumspfad bringen. Was nicht einfach, aber in der Tat notwendig ist: Die ausländischen Investoren meiden den italienischen Standort, inländische Unternehmen, die eine Wahl haben (FIAT), streben ins Ausland, die Wirtschaft befindet sich in der Rezession.
Ein Grund für die italienische Wachstumsschwäche, so das Signal aus Brüssel, sei die mangelnde „Flexibilität“ des italienischen Arbeitsmarkts, insbesondere bei Kündigungen. Schon hier mag man fragen, inwieweit diese Diagnose zutrifft – mindestens genauso wichtige Gründe sind der hohe Staatsanteil in der Wirtschaft, die Korruption, die Langsamkeit der Bürokratie, die Innovationsschwäche der Unternehmen, die mangelnden Investitionen ins „Humankapital“. Aber unterstellen wir, dass es hier mehrere Stellschrauben gibt, und dass eine von ihnen die Regularien für den Arbeitsmarkt sind. Hier gibt es mit Sicherheit sozialpolitischen Reformbedarf: Der Arbeitsmarkt ist doppelt gespalten, in Großbetriebe mit Arbeitnehmern in geschützteren und Kleinbetrieben in ungeschützteren Arbeitsverhältnissen, in (meist ältere) Arbeitnehmer mit unbefristeten und (meist jüngere) mit prekären Arbeitsverträgen. Da es für die Arbeitslosigkeit nur unzureichende „soziale Stoßdämpfer“ gibt, droht den Arbeitslosen der Absturz ins soziale Nichts.
Montis Reformvorhaben, das für den Bereich der freien Wirtschaft Besserung verspricht (der öffentliche Dienst kommt später dran), liegt nun als Gesetzesentwurf vor. Er enthält einiges Positive: eine individuelle Sozialversicherung gegen den Verlust des Arbeitsplatzes, die im Normalfall 12 Monate, bei über 55-Jährigen 18 Monate überdeckt (danach kommt allerdings weiterhin nichts, eine weitere Unterstützung wie „Hartz IV“ ist aus Regierungssicht nicht finanzierbar). Beim Kündigungsrecht soll der Schutz gegen Diskriminierung auf Kleinbetriebe ausgedehnt werden. Gegen den Wildwuchs prekärer Arbeitsverhältnisse will der Staat für Jüngere eine dreijährige betriebliche Lehrzeit (ohne Übernahmegarantie) fördern. Und Unternehmen, die trotzdem prekäre – z. B. zeitlich befristete – Einstellungen vornehmen, dadurch „bestrafen“, dass sie ab sofort 1,4 % der Lohnsumme für deren Versicherung gegen Arbeitslosigkeit zahlen müssen (was den Unternehmen allerdings nichts kosten muss, da sie dies Geld vom Lohn der „Prekären“ abziehen können, es gibt keine Mindestlöhne).
Bis zu diesem Punkt kann man Montis Reformprojekt als (begrenzten) Fortschritt sehen, so dass es eine Zeitlang möglich schien, es im Konsens mit den Sozialpartnern – also auch den Gewerkschaften – auf den Weg zu bringen. Aber jetzt droht der Konsens daran zu zerbrechen, dass Monti die Gelegenheit nutzen will, um im gleichen Abwasch Art. 18 des Beschäftigtenstatuts (Kündigungsschutz) aus den Angeln zu heben. Was in Italien eine hohe symbolische Bedeutung hätte, denn das Statut wurde in Jahrzehnten erkämpft, in denen es in Italien eine starke Arbeiterbewegung gab, und signalisiert seitdem die Grenzen der Unternehmermacht. Aber es geht nicht nur um Symbolik: Die Befürchtung ist groß, dass gerade in der gegenwärtigen Situation, in der viele Unternehmen sowieso in Schwierigkeiten sind, damit eine Lawine betrieblicher „Säuberungen“ losgetreten werden könnte.
Fortsetzung folgt!