Die Zerreißprobe (2)
Artikel 18 des italienischen Beschäftigtenstatuts erschwerte bisher betriebsbedingte Kündigungen in Betrieben mit über 15 Beschäftigten. Erklärte ein Arbeitsgericht eine so motivierte Kündigung für ungerechtfertigt, hatte der klagende Arbeitnehmer ohne Wenn und Aber Anspruch auf Wiedereinstellung. Das deutsche Arbeitsrecht ist in diesem Punkt weicher: Es überlässt dem Richter, ob er in einem derartigen Fall die Wiedereinstellung oder nur eine Abfindung verfügt. Zeitweilig wurde in der Diskussion über Montis Reform das „deutsche Modell“ als möglicher Kompromiss gehandelt, auf den sich – widerstrebend – wohl auch die Gewerkschaften eingelassen hätten. Die Empörung ist groß, seitdem die Regierung diese Kompromisslinie wieder verlassen hat und ihr Gesetzesentwurf stattdessen eine Neufassung des Art. 18 vorsieht, nach der das Arbeitsgericht in derartigen Fällen nur noch über die Abfindungshöhe (maximal 27 Monatsgehälter), nicht aber über Wiedereinstellung entscheiden kann. Die Gewerkschaften sehen sich in den vorhergehenden Verhandlungen getäuscht, und den Arbeitgebern öffnet sich eine Hintertür, um sich missliebiger (z. B. älterer) Arbeitnehmer mit einem einfachen Trick zu entledigen: Sie erklären die Kündigung für „betriebsbedingt“ und zahlen, wenn das Arbeitsgericht widerspricht, eine Abfindung. Man könnte darin vor allem die Chance sehen, jüngeren Arbeitssuchenden zu einem Arbeitsplatz zu verhelfen. Aber wenn dafür z. B. 50-Jährige auf die Straße gesetzt werden, die nach zwei Jahren nicht einmal mehr eine Arbeitslosenunterstützung bekommen, ist eine solche Abwägung zynisch.
Die Konfrontation scheint unausweichlich. Der größte italienische Gewerkschaftsverband, die linke CGIL, droht mit Generalstreik, und die PD verspricht unter ihrem Druck, den Gesetzesentwurf in der bevorstehenden parlamentarischen Beratung noch im Sinne der gewerkschaftlichen Forderungen zu „verbessern“. Während Monti den Entwurf für unantastbar erklärt – d. h. ihn voraussichtlich mit der Vertrauensfrage verbinden wird. Seine Flitterwochen mit der PD sind vorbei.
Bleibt die Frage, warum Monti hier die Konfrontation sucht. Dass er damit B. und seiner PdL einen Dienst erweisen will, erscheint zweifelhaft, obwohl ihn beide dringend auffordern, an dem Gesetzesentwurf „keinen Komma“ zu verändern. Ihr Kalkül ist durchsichtig: Sie wittern die Chance, damit die PD, die der CGIL nahe steht, zur Implosion zu bringen. Aber was hätte Monti davon? Eine andere Erklärung dürfte der Wahrheit näher kommen: Monti sieht sich als Vollstrecker der Anweisungen aus Brüssel. Schon seit dem August 2011 fordert die EZB, in Italien müssten Entlassungen erleichtert werden. Jetzt ließ Laszlo Andor, der EU-Kommissar für Beschäftigung, verlauten: „Die italienische Reform will den Arbeitsmarkt in Bewegung bringen. Das entspricht unserem Ziel“. Weshalb versucht die EU-Kommission Italien Standards aufzudrücken, die unter denen des deutschen Arbeitsrechts liegen?
Der Konfrontationskurs, den die Regierung Monti nicht nur gegenüber den italienischen Gewerkschaften, sondern auch gegenüber der PD einschlägt, könnte einen doppelten Sinn haben. Zum einen scheint es Monti ganz recht zu sein, dass sein Reformprogramm die Gewerkschaften und die mit ihnen enger verbundenen politischen Parteien (bis zum Generalstreik) gegen sich aufbringt, denn gerade das könnte die „Finanzmärkte“ und internationalen Kreditgeber davon überzeugen, dass er „es ernst meint“. So erklärt sich auch der fast provokatorische Nachdruck, mit der Monti feststellt, dass gegenüber seiner Regierung kein Sozialpartner mehr eine „Vetomacht“ habe, mit der „Konzertierung“ sei jetzt Schluss. Zum anderen hat sein Kurs eine europäische Dimension. Denn wie sich Monti des Brüsseler Knüppels bedient, um zu Hause harte Reformen durchzusetzen, so bedient sich die EU-Kommission des Notstands einiger Mitgliedsländer, um in ihnen ihre sozialpolitischen Vorstellungen durchzusetzen. Und dazu gehört offenbar ein schwacher Kündigungsschutz.
Eigenen Gestaltungswillen kann man der EU-Kommission also nicht absprechen. Der aber geht nicht nur Italien etwas an. Die Frage ist, ob die europäischen Bürgerinnen und Bürger ein sozialpolitisch so „gestaltetes“ Europa wollen.