„Pulizia! Pulizia! Pulizia!“
Vergangenen Dienstag traf in Bergamo die Lega-Führung auf ihre Basis, das Fernsehen übertrug life. Der deutsche Beobachter fühlte sich um 70 Jahre zurückversetzt: Brüllchöre, die den Versammlungssaal erzittern ließen und sich immer triumphaler vereinigten. Die Basis war gekommen, um „die Bewegung“ zu reinigen. Die beschmutzt war durch das süße Gift des jahrzehntelangen Bündnisses mit B. und durch eine Korruption, die sich auch in die Lega hineinfraß und die jetzt die Staatsanwaltschaften aufdeckten. Man wollte zurück zur Reinheit.
Es sollte wie eine Neugeburt sein, die dadurch eingeleitet wird, dass das Kind noch einmal in den Mutterleib zurückkehrt. Dafür steht ein neuer Führer bereit: „Bobo“ Maroni, der als Innenminister unter Berlusconi Italien vor den Einwanderern schützte und jetzt zum Exorzisten wird. Er erschien mit Besen, mit dem er immer dann fernsehgerecht den Boden fegte, wenn er mal nicht am Mikrofon stand. Die Basis brüllte, was er vorgegeben hatte: „Pulizia, Pulizia, Pulizia!“
Damit begann die Operation Sündenbock. Maroni bewies taktisches Geschick, indem er sich nicht direkt mit dem immer noch charismatischen Bossi anlegte – man muss auch wissen, wer nicht schuldig sein darf. Bossi ist alt, vom Schlaganfall gezeichnet. „Sein Fehler war, dass er den Menschen in seiner Umgebung zu sehr vertraute“. Womit man erstens den alten Führer vor der Säuberung schützt, zweitens rechtfertigt, dass man ihm trotzdem das Steuer aus der Hand nimmt, und drittens begründet, warum man in seiner Umgebung nach Sündenböcken sucht: im „magischen Kreis“, der sich um Bossi gebildet hatte und Maroni verhindern wollte. Die Gelegenheit war da, um diesen Kreis ein für allemal auszuschalten.
Maroni bewies in Bergamo sofort „Führungskraft“. Er lobte (und akzeptierte) Bossis Rücktritt als Generalsekretär der Lega. Ebenso den Rücktritt des Sohnes Renzos, seines designierten Nachfolgers, der Parteigelder verprasste, vom Posten des Regionalrats. Der Vater durfte öffentlich um ihn weinen, denn mit der Begründung, er habe als Vater versagt, weil er ihn in die Politik trieb, tat er niemandem mehr weh.
Zum eigentlichen Sündenbock wurde der bisherige Schatzmeister der Lega, Francesco Belsito, auserkoren, dem Verbindungen zur N’Drangheta nachgesagt werden und gegen den drei Staatsanwaltschaften Belastungsmaterial sammelten. Und Rosy Mauro, Bossis Vertraute (auch „Pflegerin“ genannt), die sich wie eine Klette an ihn gehängt hatte und ebenfalls Parteigelder für sich, ihren Geliebten und eine obskure „padanische Gewerkschaft“ genutzt haben soll. Ihr Schwachpunkt ist es, eine Frau aus dem Süden zu sein, keine echte „Padana“, aber sie schaffte es immerhin bis zur stellvertretenden Senatspräsidentin. Da sie sich gegen ihren Rücktritt von diesem Posten wehrt, bot sie Maroni Gelegenheit, unter brausendem Beifall zu verkünden, dass dann eben „wir“ ihren Rücktritt und den Ausschluss aus der Lega erzwingen werden. Womit er sich selbst zum Garanten des Reinigungsprozesses machte. Gegenüber den anfangs noch konkurrierenden „Bossi! Bossi!“-Rufen setzte sich immer stärker das „Maroni! Maroni!“ durch, woraus am Ende ein brausender „Lega! Lega!“-Chor wurde, der alle vereinte.
Der Höhepunkt des Abends war der wechselseitige Kuss vor laufenden Kameras. Auch wenn die dadurch erweckte Assoziation 2000 Jahre zurückreicht. Jeder im Saal weiß, dass Bossi Maroni vor kurzem noch einen Vollidioten nannte und alles tat, um seinen Aufstieg innerhalb der Lega zu verhindern. Aber nun küsste Maroni Bossi, es war der Ritterschlag, den er sich selbst erteilte und der Bossi erledigte. Bossi zögerte einen Moment, aber ließ es geschehen, dann küsste er zurück. Er tut es ungeschickt, der Kuss landet an Maronis Hinterkopf. Aber die Machtübergabe war vollzogen. Die Basis tobte.
Alles ist geklärt: Die Sündenböcke sind identifiziert und zum Abschuss freigegeben, der „magische Kreis“ vernichtet, die „Bewegung“ gereinigt. Zwei Tage später schließt der oberste Rat der Lega Belsito und die immer noch widerstrebende Rosy Mauro aus der Partei aus (letztere mit der ausdrücklichen Begründung, dass sie nicht der „Anweisung des Capo gehorcht“ habe). Der nächste Parteitag der Lega wird auf Ende Juni vorgezogen, um dann Maroni auch förmlich zu wählen, mit einer Ehrenrolle für Bossi.
Sage niemand, mit der Lega sei es aus und vorbei. Zwar basiert das ganze Reinigungsritual auf einer durchsichtigen Lüge: dass Bossi und Maroni nichts von den Machenschaften ihres Schatzmeisters wussten. Aber die Italiener haben gegenwärtig andere Sorgen, das soziale Protestpotenzial wächst. Die Lega könnte wieder ins Spiel kommen.